: Sehnsucht nach dem Süden
Der Flensburger Museumsberg stellt den dänischen Maler Bertel Thorvaldsen, dessen Sammlung und übernationale Vision von Kunst vor. Im deutsch-dänischen Grenzraum wirkt diese Utopie heute wieder aktuell
Von Hajo Schiff
In Flensburg gibt es nicht nur Bier und Rum und das Kraftfahrtbundesamt mit seinen Punkten, vor allem ist Dänemark sehr nah – geografisch und kulturell. Das gilt besonders für das aktuelle „Deutsch-Dänische Freundschaftsjahr“. Und so wurde wesentlich aus Kopenhagen eine Ausstellung auf dem Flensburger Museumsberg bestückt: „Kunst ohne Nation – Thorvaldsens Utopia“ hat als Anlass nicht nur die 100. Wiederkehr der friedlichen Regelung der jahrhundertelang umstrittenen Grenze zwischen dem dänischen Königreich und Deutschland, sondern auch den 250. Geburtstag des klassizistischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen.
Aber abgesehen von einigen angegrauten Gipsen nach Antiken geht es nicht um dessen europaweit bekannte Skulpturen. Anhand eines Teils seiner privaten Bildersammlung soll die transnationale Offenheit des dänischen Meisters gewürdigt werden, der fast 40 Jahre seines Lebens in Rom verbracht hat. Mit strahlend blauen Augen, im Fellmantel und mit Pantoffeln gegen die Kühle des unbeheizten Raumes zeigt ihn das große Porträt in seinem Atelier vor einigen seiner berühmten Arbeiten. Das Bild von Detlev Conrad Blunck kommt ausnahmsweise nicht aus Thorvaldsens Museum in Kopenhagen, sondern aus Kiel.
Dieses römische Atelier und die Tavernen der Umgebung waren inmitten kriegerischer Zeiten von 1797 bis 1838 ein Treffpunkt für Künstler und Kunstinteressierte aus ganz Europa. Und aufgrund seiner eigenen höchst erfolgreichen Karriere konnte Thorvaldsen nicht nur mit diesem großen internationalen Freundeskreis diskutieren und feiern, sondern auch junge Talente fördern und finanziell unterstützen. So entstand seine damals aktuellste Sammlung junger europäischer Kunst zwischen Klassizismus und Romantik, einst etwa 280 Bilder von 137 Künstlern. Die hier gezeigte Auswahl aus Kopenhagen umfasst etwa ein Zehntel davon.
Selbst durch und durch Klassizist (mit Sympathien für Napoleon), zeigen die von Thorvaldsen angekauften Bilder den Umschwung von der klassisch-heroischen Landschaft beispielsweise eines noch an Poussin geschulten Joseph Anton Koch zur Romantik in allen Spielarten. Die Kinder der Bauern werden zu Putti, die Hauptbeschäftigung der Landbevölkerung in Latium scheint es zu sein, vor antiken Ruinen zu tanzen, und die dargestellte Zeit auf diesen Bildern ist weder antik noch gegenwärtig, sondern der ins Mythische gesteigerte Traum der Nordländer vom Süden, beispielsweise beim Lübecker Johann Friedrich Overbeck oder dem Hessen Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.
Aber auch wilde norwegische Landschaften entstanden in Rom – die Norweger Johann Clausen Dahl und Thomas Fearnley malten sie aus der Erinnerung. Malerinnen aber waren eine große Ausnahme. Anerkannt und erfolgreich war die aus Jena stammende Louise Seidler. Von ihr ist ein Porträt von der Hofdame Fanny Caspers zu sehen, 1819 zeitweilig eine von Thorvaldsens Geliebten.
Ein Raum zeigt den Kult um den lange als wichtigsten Künstler des Jahrhunderts geltenden Thorvaldsen: Porträtbüste und Wachsmedaillon und gefasste Haarlocke als Erinnerung; ein Bild vom triumphalen Empfang bei der Rückkehr nach Kopenhagen – allerdings schon zwei Jahre früher gemalt oder ein Verehrungsbild in sonst nur Adeligen vorbehaltener Pose. Und Thorvaldsens Bildhauerwerkzeug kann gar als Verweis auf den Hammer des nordischen Gottes Thor gelesen werden. Des Künstlers Ruhm war so groß, dass er – als bekennend evangelisch – ein Papstgrabmal im Petersdom gestalten durfte.
Nach 40 Jahren Aufenthalt in Rom rief ihn der dänische König Friedrich VI. zurück nach Kopenhagen. An prominenter Stelle neben dem königlichen Schloss Christiansborg wurde dem Künstler ein eigenes, 1848 eröffnetes Museum erbaut, in dessen Innenhof der 1844 gestorbene Thorvaldsen auch begraben ist.
Richtig interessant wird die drei Räume umfassende Sonderausstellung erst im Kontext der politischen Geschichte. Denn die Betonung einer Herkunft und Gesellschaftsschicht für unwesentlich erachtenden Haltung Thorvaldsens, die Utopie einer übernationalen römischen Künstlerrepublik inmitten einer äußerst unruhigen Zeit der Napoleonischen Kriege wird hier besonders wichtig in Erinnerung an die andauernden nationalen Kämpfe im Norden – auch wenn diese erst nach Thorvaldsens Tod und dem Ende der in Kopenhagen als „Goldenes Zeitalter“ bezeichneten ersten Jahrhunderthälfte eskalierten.
Die staatsrechtlichen Verhältnisse der seit dem Vertrag von Ripen 1460 als „Up ewig ungedeelt“ garantierten, gleichwohl teils zu Dänemark teils zu Deutschland gehörenden Herzogtümer Holstein und Schleswig sind seit Jahrhunderten extrem kompliziert. Nach etlichen Kriegen wurde erst vor hundert Jahren nach einer Volksabstimmung unter Aufsicht des Völkerbundes die heutige Grenze festgelegt. Die Linie nördlich Sylt bis Kupfermühle nördlich Flensburg gilt nun seit 1920 unverändert – wobei den Minderheiten zwischen der Königsau im Norden und der Eider im Süden zahlreiche Sonderrechte eingeräumt wurden. Und das trotz Zweiten Weltkriegs und deutscher Besatzung Dänemarks.
Der Thematik des Lebens auf beiden Seiten der Grenze ist eine weitere Ausstellung des Museumsbergs gewidmet. Mit viel Didaktik geht es bei „Perspektivwechsel 2020“ um die nationalen Klischees bei der damaligen Abstimmung und den Umbau der Wirtschaft nach 1920. Der Bogen spannt sich zum Nationalsozialismus: Flensburg war im Zweiten Weltkrieg nahezu unzerstört und am Ende für wenige Tage unter Großadmiral Dönitz letzte Hauptstadt des Dritten Reichs.
Weiter geht es um die Flüchtlingsströme aus dem Osten in der Nachkriegszeit, die schrittweise Liberalisierung und Öffnung der Grenze im europäischen Einigungsprozess und die erneuten Restriktionen, seit Dänemark wieder Grenzkontrollen – vor allem gegen Geflüchtete aus dem Süden – eingeführt und die Grenze mit einem „Wildschwein-Zaun“ gesichert hat.
Ganz deutlich wird die komplizierte dänisch-deutsche Geschichte am sogenannten „Idstedt-Löwen“, diesem überlebensgroßen Denkmal in Sichtweite des Museums. 1862 als dänisches Siegesmal in Erinnerung an die Niederlage der Deutschgesinnten in der Schlacht von Idstedt von 1850 errichtet, 1867 von den nunmehr im Krieg von 1864 siegreichen Preußen als Beute nach Berlin verbracht und 1945 von den Alliierten nach Kopenhagen überstellt, kam das schwer belastete Riesentier 2011 nach Flensburg zurück – zum Freundschaftszeichen umdeklariert. Kunst kann Utopien entwickeln, aber die Politik folgt ihr nur mit Mühe.
„Kunst ohne Nation – Thorwaldsens Utopia“: bis 15. November, Museumsberg Flensburg
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