piwik no script img

Aus der DDR heim ins Reich

Für die Reportage „Der Traum vom Umsturz“ in der NDR-Reihe „Panorama – die Reporter“ hat Birgit Wärnke Neonazis aus den 1990ern befragt

Von Wilfried Hippen

Zusammen mit der DDR wollten Neonazis in den frühen 1990er-Jahren auch gleich die BRD abschaffen. „Der gewaltsame Systemumsturz war unser Ziel“, sagt der inzwischen geläuterte Ingo Hasselbach in die Kamera der Videojournalistin Birgit Wärnke, die dazu auch ein angemessen betroffenes Gesicht macht. Denn wie der Titel verspricht, inszenieren in der NDR-Dokureihe „Panorama – die Reporter“ die Reporter*innen auch sich selber. So spricht Birgit Wärnke von ihrer „Heimat Ostdeutschland“ um deutlich zu machen, warum es ihr persönlich so wichtig war, diese Recherche zu machen.

Über die Form dieses vermeintlich modernen Reportageformats lässt sich streiten, und in „Der Traum vom Umsturz“ gibt es einige, offensichtlich nachgestellte Gegenschüsse auf das Gesicht von Wärnke zu viel. Aber die Form drängt hier nicht, wie sonst oft, den Inhalt in den Hintergrund.

Denn Wärnke und ihrem Koautoren Julian Feldmann ist es gelungen, drei der Schlüsselfiguren der Neonaziszene der 1990er-Jahre zu befragen. Bei Ingo Hasselbach ist dies keine große Überraschung, denn als Aussteiger aus der Neonaziszene war und ist er in den Medien präsent. Doch Arnulf Priem und Christian Worch sind auch heute noch bekennende Neonazis. Und wenn Priem stolz vor der Kamera seine Armtätowierung mit dem Porträt des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich präsentiert, wundert man sich schon ein wenig darüber, wie es zu diesen Aufnahmen mit der jungen NDR-Reporterin kam.

Priem wirkt mit langen Haaren wie ein Althippie, war aber einer der Köpfe der ostdeutschen Neonaziszene. Christian Worch, damals Neonazi im Westen, spricht erstaunlich sachlich vor der Kamera davon, dass sie damals in der BRD nicht mehr als „tausend Mann“ auf die Straße bringen konnten. Doch die „personellen Ressourcen“ aus „Mitteldeutschland“ nach dem Mauerfall hätten für einen kräftigen Aufwind der Bewegung gesorgt.

Birgit Wärnke war so klug, die beiden Alt-Neonazis nicht zu lange und unwidersprochen reden zu lassen. Sie stellt ihnen vor der Kamera keine unbequemen Fragen, aber sie interviewt für die Gegenposition Spezialisten wie den Historiker Harry Waibel und den Aktivisten Bernd Wagner. Die füllen den Film zwar mit noch mehr sprechenden Köpfen von Männern im Rentenalter, stellen dafür aber interessantes Recherchematerial vor, wie etwa Berichte der Stasi, in denen von über 200 Neonazigruppen in der DDR mit Namen wie „SS-Division Walter Krüger Wolgast“ oder „Die Wilhelmsruher Türkenklatscher“ berichtet wird.

Außerdem bedienten sich Wärnke und Feldmann ausgiebig beim NDR-Archiv, was zu einigen der immer wieder eindrucksvollen Damals-und- Heute-Montagen von Priem, Worch und Hasselbach führt.

Letzterem zeigt Wärnke im Stil der auf Youtube so beliebten Reaktion-Videos einen Filmausschnitt, in dem er sich vor 30 Jahren als „Führer von Berlin“ feierte. Hasselbach kannte diese Aufnahmen nicht und spricht davon, wie fremd ihm dieser junge Mann heute sei und dass er sich für ihn schämt: Die Spiegelszene zu Arnulf Priems Tattoo-Show.

„Der Traum vom Umsturz“: Di, 1. 9., 21.15 Uhr, NDR-Fernsehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen