Kommentar von André Zuschlag über den Azubimangel im Baugewerbe: Zeit ist wichtiger als Kohle
Als würde es an der Kohle oder am schlechten Image liegen! Dass dem Baugewerbe immer mehr der Nachwuchs ausgeht, hat damit wenig zu tun. Klar, der Ruf, auf dem Bau zu arbeiten, ist nicht der beste. Aber das eigentliche Problem ist nicht das schlechte Image oder das wenige Geld – sondern vielmehr die fehlende Zeit.
Mit ihrer unzureichenden Erklärung für den Azubimangel macht es sich die Unternehmerseite zu einfach. Aber auch die Gewerkschaft verhält sich zu zögerlich. Natürlich stimmt es, dass die unbezahlten Fahrtwege zu den weit entfernten Baustellen richtiger Mist sind. Dass sie das zum zentralen Streitpunkt in den Tarifverhandlungen machen, ist einerseits richtig. Wer will schon vor und nach einem normalen Arbeitstag inklusive zwei oder drei Überstunden noch unbezahlt lange Wege akzeptieren?
Aber vielleicht sollte auch die Bau-Gewerkschaft langsam erkennen, dass immer mehr junge Leute – völlig zu Recht – keinen Bock mehr haben, so viel ihrer Lebenszeit zu arbeiten. Besonders nicht in einem Gewerbe, das körperlich harte Arbeit verlangt.
Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der man das eigene Wohlbefinden einzig über berufliche Leistung definiert. Es gibt noch mehr Dinge im Leben als Lohnarbeit. Aber dafür brauchen Menschen auch Zeit. Wer, wie mittlerweile im Bau, das ganze Jahr hindurch wie verrückt auf Baustellen malocht und ohne Ende Überstunden kloppt, hat aber keine Zeit. Das wissen Jugendliche und suchen sich lieber einen Job, der immerhin körperlich weniger anspruchsvoll ist.
Die Gewerkschaft muss das kapieren und mehr Mut fassen. Schließlich ist sie in einer guten Position, um größere Forderungen zu stellen. Im Gewerbe sprudelt die Kohle wegen der vielen Aufträge und die Unternehmen sind dringend auf ihrer Arbeiter*innen angewiesen.
Warum ist das Schweigen zur Arbeitszeitverkürzung so groß? Käme eine Viertagewoche bei gleichem Lohn im Baugewerbe, wäre der Azubimangel sicher schnell behoben.
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