: Berlin, auf die Spitze getrieben„Eine riesige Diskokugel“
WAHRZEICHEN Der Fernsehturm am Alex wird 40. Er war ein politisches Zeichen der DDR, heute ist er Pop und Symbol für die ganze Stadt. Für manche ist er lebensnotwendigIMAGE Der Turm steht bei jungen Leuten für das schräge Berlin, sagt Burkhard Kieker, Chef der Tourismus Marketing GmbH
taz: Herr Kieker, können Sie sich erklären, warum ausgerechnet ein Turm, das männlichste aller Symbole, zu einem Wahrzeichen Berlins geworden ist?
Burkhard Kieker: So habe ich das noch gar nicht gesehen. Vielleicht zeigt sich im Turm das Imponiergehabe der kleinen Männer, die den Turm damals in Auftrag gegeben haben. Aber Sie haben schon Recht: Aus der ansonsten sehr flachen Häuserebene der Stadt ragt nun dieses imposante Teil heraus.
Der Turm prägt die Silhouette der Stadt.
Genau. Wenn es den Turm nicht schon gäbe, müsste man ihn bauen. Er passt gut zur Designszene der Stadt. Besonders schön ist die Skyline ja ansonsten nicht.
Wie hat sich die Wahrnehmung des Turms bei jungen Menschen verändert?
Für die Jugendlichen ist er zum hippen Symbol des schrägen, etwas abseitigeren Berlins geworden. Während der Fußball-WM wurde er weltweit bekannt. Welche andere Stadt leistet sich schon eine riesige Diskokugel als Wahrzeichen?
Für den Marketingchef einer Stadt ist so ein Turm sicher ein Glücksfall. Beneiden ihre Kollegen Sie?
Der Fernsehturm ist in Deutschland die sechstbeliebteste Sehenswürdigkeit. Das freut mich natürlich. Sehen Sie sich nur mal andere Fernsehtürme an: Der in London sieht genau aus wie der in Stuttgart. Das sind reine Zweckbauten. Die visuellen Konstanten Berlins, die bei den Menschen hängen bleiben, sind das Brandenburger Tor und der Fernsehturm. Aus dem Protzgehabe der DDR ist ein tolles Wahrzeichen geworden.
■ Burkhard Kieker, 49, lebt seit 1985 in Berlin. Er ist Chef der Berlin Tourismus Marketing GmbH
„Respekt vor der Höhe“
TECHNIK Umfallen kann der Fernsehturm eigentlich nicht, sagt Objektmanager Torsten Brinkmann
taz: Herr Brinkmann, hier im Fernsehturm öffnen und schließen Sie Luken wie andere Menschen Wohnungstüren. Das wirkt alles sehr vertraut.
Torsten Brinkmann: Da haben Sie recht: Ich kenne jede Tür.
Sie arbeiten hier seit 1994. Wie war das damals?
Damals war hier alles noch im originalen Bauzustand aus DDR-Zeiten. Wir haben erst mal alles rausgerissen, sämtliche Lampen, Türen, Schalter, Fenster. Das war auch echt notwendig, ich bin davor von Störung zu Störung gerannt. Der Turm ist jetzt zwar in gutem Zustand, doch wie in jedem Gebäude stehen nach zehn Jahren natürlich auch Reparaturen an.
Gibt es hier ein Problemkind, das besonders viel Aufmerksamkeit braucht?
Der Kran ist schon sehr sensibel. Aufzüge und Lüftungsanlagen werden regelmäßig gewartet. Ansonsten reagieren wir spontan auf die Probleme, die aufkommen.
Wir standen gerade auf der Evakuierungsbühne in etwa 200 Metern Höhe. Der Wind bläst dort oben orkanartig. Können Sie unter solchen Bedingungen arbeiten?
Das ist schon schwierig. Um Antennen an- und abzuschrauben, wäre der Wind heute zu stark. An solchen Tagen verringern wir die Geschwindigkeit der Aufzüge von 6 Meter auf 4 oder 2,5 Meter pro Sekunde. Sonst schlagen die Seile gegen die Schachtwände.
Haben Sie Höhenangst?
Nicht so richtig.
Nicht so richtig?
Okay, ein bisschen schon. Man muss schon Respekt haben vor der Höhe. Ich arbeite ja auch manchmal an der Spitze des Turms, gesichert mit Gurten.
Kann der Turm umfallen?
Es gibt nichts, was unmöglich ist. Aber realistisch ist das nicht. Es gibt auch kein Rettungsszenario für so einen Fall.
INTERVIEWS: SASCHA CHAIMOWICZ
■ Torsten Brinkmann, 44, ist seit 1994 Objektmanager der Deutschen Funkturm GmbH, einer Telekom-Tochter.
„Antenne des Raumschiffs“
ZUKUNFT Für Caspar Mierau ist der Turm kein Turm, sondern Teil eines Ufos, das davonfliegen wird
taz: Caspar, Berlin feiert am Samstag den 40. Geburtstag des Fernsehturms. Ein Irrtum, wie du meinst. Was ist denn vor 40 Jahren eigentlich passiert?
Caspar Mierau: Was genau passiert ist, ist uns nicht klar. Klar ist nur: Der sogenannte Fernsehturm ist die Antenne einer Raumstation, die unter dem Alexanderplatz liegt – und zwar schon seit vielen Milliarden Jahren. Ob sie nun vor 40 Jahren repariert wurde oder sich enttarnt hat, wissen wir nicht.
Die Telekom sagt, der Turm gehöre ihr.
Kurzfristige Besitzansprüche beunruhigen mich nicht. Uns ist nur wichtig, regelmäßig freien Zugang zu erhalten, um unsere archäologischen Arbeiten voranzutreiben. Zur Not tarnen wir uns als Besucher.
Wie sehen die archäologischen Arbeiten aus?
Es gibt über dem Restaurant mehrere Etagen. Wir inspizieren dort die Anlagen, die fälschlicherweise als DDR-Sendeanlagen bezeichnet werden. Wir erforschen dort die Technologie. Ziel ist es, die Antenne zu reparieren, damit die Raumstation abheben kann.
Arbeitet ihr mit den Haustechnikern zusammen?
Wir wissen nicht, ob sie es nicht besser wissen, oder ob sie es nur so sagen müssen, aber sie unterliegen auch eher dem Mythos, dass es ein Fernsehturm ist.
Was würde es für Berlin bedeuten, wenn ihr erfolgreich seid und das Raumschiff samt Fernsehturm abhebt?
Das ist eine große Frage. Viele Berliner wären auf einmal orientierungslos. Das würde sich auf den Verkehr auswirken. Aber mit solchen Fragen habe ich mich schon in meiner Jugend in Ostberlin beschäftigt. Damals dachten wir alle, der Turm kippt langsam um.
■ Caspar Clemens Mierau (30) ist Vorstandsmitglied bei C-Base. Deren Mitglieder betreiben das gleichnamige Veranstaltungszentrum in der Rungestraße.
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■ Der Fernsehturm, mit 368 Metern höchstes Gebäude Berlins, hat zu seinem 40. Geburtstag am 3. Oktober etwas geschafft, was anderen DDR-Bauten verwehrt blieb: Er ist ein gesamtdeutscher Liebling.
Vier Jahre dauerten die Bauarbeiten, mit 200 Millionen DDR-Mark geriet er rund 6-mal so teuer wie geplant. Der Bau war ein unglaublicher Devisenschlucker. Die Thermofenster mussten in Belgien bestellt werden, Fahrstühle und Klimaanlagen in Schweden. Die Edelstahlhaut lieferte Krupp.
Der Spott ließ trotz der großen Ingenieurleistung nicht auf sich warten. Während die SED-Oberen vom „Weltniveau“ sprachen, beobachteten Berliner aus Ost und West einen seltsamen Lichtreflex auf der Edelstahlhaut der Turmkugel. Strahlt die Sonne, zeigt die runde Hülle bis heute weithin sichtbar ein Kreuz. Das sei die Rache Gottes, hieß es damals in Anspielung auf die atheistischen DDR-Machthaber.
Das Drehrestaurant „Tele-Café“ in 200 Metern mit dem unverfänglichen Blick gen Westen zählte bald zu den beliebtesten Cafés Ostberlins. Einen Witz erzählten sich die Ostdeutschen in Schwindel erregender Höhe besonders gern: „Wenn der Fernsehturm umfällt, sind wir wenigstens im Westen.“
Bis heute ist das Berliner Wahrzeichen der höchste Fernsehturm Deutschlands. Mehr als eine Million Besucher wollen jedes Jahr hoch hinaus. Noch immer ist der Turm auch Arbeitsplatz für fünf Rundfunk-Techniker. Über 60 Programme laufen über seine 118 Meter lange rot-weiße Antenne.
Der Geburtstag wird mit einer Zeitreise gefeiert: Am 3. Oktober soll es zugehen wie vor 40 Jahren. Im Restaurant gibt es die Speisekarte vom 3. Oktober 1969 und original Eintrittskarten. Auch beim Service geht es zu wie in den 60ern: Die Kunden werden platziert und müssen nach einer Stunde im Kugelrestaurant gehen. (dpa, taz)