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„Ein krimineller Akt“

Der Niederländer Jakobsen ringt nach einem Manöver seines Sprintkollegen Groenewegen mit dem Leben

Sprinter suchen im Finale mit allen Mitteln den Erfolg. Der slowakische Radprofi Peter Sagan ist in der Szene verschrieen als „Peter Gnadenlos“. In Erinnerung sind etliche ruppige Aktionen des dreimaligen Weltmeisters. Ihm wurde vorgeworfen, Konkurrenten absichtlich ins Begrenzungsgitter gefahren und dadurch schwer zu Sturz gebracht zu haben. Der deutsche Sprinter André Greipel herrschte den vermeintlichen Übeltäter einmal mit den Worten an: „Hör auf! Du hast mich zum zweiten Mal beinahe umgebracht!“ Ähnlich dachten wohl Sagans Rivalen Mark Cavendish und John Degenkolb, die auch Opfer von Sagans kompetitivem Stil geworden sind, dabei klagten sie ein Verhalten an, von dem sie selbst nicht frei waren. Sprinter leben auf den letzten Metern einer Etappe gefährlich. Wer genau die Regeln übertritt, ist manchmal nur schwer zu beurteilen in dieser Hatz der Rasertypen.

Wie verbreitet das rücksichtslose Sprinten und gefährliche Abdrängen von Gegnern ist, illustriert der Fall des jetzt bei der Polen-Rundfahrt verunfallten Niederländers Fabio Jakobsen. Oder sollte man sagen: des vorsätzlich schwer verletzten Sportlers? Im Sprint um den Sieg hatte der Niederländer Dylan Groenewegen (Jumbo-Visma) seinen Landsmann kurz vor der Ziellinie bei höchstem Tempo abgeräumt. Jakobsen wurde mit 80 km/h in die Absperrgitter gedrückt. „Das war ein krimineller Akt von Groenewegen. Er gehört dafür in den Knast, dafür würde ich vor Gericht ziehen“, twitterte Jakobsens Teamchef Patrick Lefevere aufgeregt.

Das 23-jährige Opfer wurde bewusstlos ins Krankenhaus geflogen und dort operiert. Jakobsen schwebte in Lebensgefahr. „Es ist ernst, sein Leben ist direkt bedroht. Er hat eine enorme Menge Blut verloren und erhebliche Verletzungen erlitten“, sagte Rennärztin Barbara Jerschina bei Polsat Sport am Mittwochabend. Der Zustand sei „sehr schlimm. Wir beten weiter, dass er überlebt“, äußerte Lefevere am Donnerstag im belgischen Radio. „Alle Knochen in seinem Gesicht sind gebrochen“, führte er fort, nachdem der niederländische Straßenmeister fünf Stunden lang operiert worden war. „Ein CT-Scan wurde durchgeführt, das Gehirn scheint nicht beschädigt worden zu sein“, teilte Pawel Gruenpeter, stellvertretender Direktor des Krankenhauses, mit. Weiter hieß es, dass die Hauptverletzungen im Gesicht liegen würden, die Augen aber nicht betroffen seien. „Heute werden wir versuchen, ihn aus dem Koma zu holen.“

Trotz des schweren Sturzes wollte Jakobsens Team Deceuninck-Quick Step an den Start der zweiten Etappe gehen. Groenewegen hat sich noch nicht zum Vorfall geäußert. Es wäre ihm zu wünschen, dass er souveräner mit dem Crash umgeht als jener niederländische Junioren-Fahrer, der die deutsche Bahnfahrerin Kristina Vogel – wiewohl unabsichtlich – in den Rollstuhl gefahren hat. Er mied den Kontakt zur Invalidin. (taz)

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