die woche in berlin
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In einer Stadt, die sich ganz allgemein wieder lockerer macht, darf man bald auch, was man in Brandenburg bereits darf: ins Kino gehen. Überhaupt sind in Berlin nun wieder mehr Kontakte möglich (und im gleichen Atemzug: auch mehr Bußgelder), der Senat hat es erlaubt, während man sich mit dem Enteignungs-Volksbegehren doch recht schwer tut.

Zum Neustart gibt es dunkle Flecken

Die Berliner Kinos öffnen wieder. Mit vielen Fragen

Am kommenden Dienstag sollte eigentlich ein schöner Tag sein. Für die Filmfreunde, für die Kinobetreiber und für die übrige Filmbranche. Endlich dürfen die Kinos in Berlin wieder öffnen. Dreieinhalb Monate war pandemiebedingt kein Betrieb möglich, jetzt haben die Lockerungen auch in diesem Bundesland die Lichtspielhäuser erreicht.

Dass nicht alle Kinos darunter sein werden, ist ein erster Dämpfer. Nachdem schon zum Jahreswechsel das Cine­star inklusive Imax am Potsdamer Platz dichtgemacht hatte, folgt jetzt als erstes Berliner Corona-Opfer das Colosseum in Prenzlauer Berg. Wie beim Cinestar hatte der Vermieter den Vertrag gekündigt, vor allem aber hat der Insolvenzverwalter des Colosseums, Sebastian Laboga, verkündet, unter den geltenden Abstandsregeln sei kein wirtschaftlicher Betrieb mehr möglich.

Doch auch für die übrigen Kinos ist Optimismus jetzt vermutlich eine Frage der grundsätzlichen Haltung. Denn die Auflagen, unter denen sie starten dürfen, vor allem der Sicherheitsabstand im Kinosaal, werfen für Kinos die Frage auf, wie lange sich diese Praxis für sie wird rechnen können.

Das gilt für Kleinstsäle wie das Lichtblick-Kino in Prenzlauer Berg ebenso wie für die größeren Kinos etwa der Yorck-Gruppe, die im Übrigen wie fast alle anderen auch erst ab dem 2. Juli wieder öffnen werden. Sie alle dürfen unter diesen Bedingungen bloß noch rund ein Viertel, maximal ein Drittel der bisherigen Karten verkaufen. Für die Cineplex-Ketten gilt das Gleiche. Je länger die Abstandsregeln gelten, desto wahrscheinlicher wird es daher, dass andere Häuser dem traurigen Beispiel des Colosseums folgen.

Es könnte sogar sein, dass sich das Erlebnis in einem zwangsweise spärlich besetzten Saal als so wenig reizvoll erweist, dass frustrierte Kinogänger sich lieber der heimischen Couch zuwenden, um dort gemütlich zu streamen. Hinzu kommt, dass wegen der vielen Startterminverschiebungen zunächst keine allzu publikumsträchtigen Filme im Programm anstehen. Das Angebot, mit dem die Kinos locken, ist mithin gleich in mehrfacher Hinsicht begrenzt gewinnversprechend.

So bleibt ein Dilemma: Im Interesse der Kinos wäre es nötig, die Abstandsregeln bald wieder aufzuheben. Im Interesse der Gesundheit des Publikums wäre das höchstwahrscheinlich nicht. Eine bewährte und schöne Form der kulturellen Begegnung stillschweigend den Coronatod sterben zu lassen, kann allerdings nicht die Lösung sein.

Das wäre sicher auch nicht im Sinne des Filmproduzenten Artur Brauner, der das Colosseum 1992 gekauft hatte. Brauner produzierte in der Nachkriegszeit erfolgreiche Unterhaltungsfilme, um sein dringlicheres Anliegen, Filme über die NS-Zeit, finanzieren zu können. Und Filme wie diese, die ernsten und die unterhaltsamen, brauchen nach wie vor einen öffentlichen Ort.

Tim Caspar Boehme

Es kann ganz schnell wieder wehtun

Senat setzt gegen Corona jetzt auf Lockerungen und Bußgeld

Die Menschen dürfen sich wieder treffen in Berlin, sie dürfen dabei wieder mehr als fünf auf einer Picknickdecke sein, und die Kontaktbeschränkung auf zwei Haushalte gilt auch nicht mehr. Das hatte der Senat am Dienstag beschlossen und die Corona-Eindämmungsverordnung entsprechend geändert – und was denn auch sonst?

Mag sein, dass die Corona-Ampel, das Frühwarnsystem des Senats, beim Reproduktionswert – also der Zahl, wie viele Personen ein infizierter Mensch ansteckt – ein paar Tage hintereinander Rot zeigte. Mag sein, dass die Stadt einige lokale Coronahotspots hat, etwa die „Quarantäne“-Häuserblocks in Neukölln und in Friedrichshain. Und es ist ganz sicher so, dass Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) recht hat, wenn sie jetzt zur Vorsicht mahnt, indem sie betont, diese Hotspots seien „noch“ lokal einzugrenzen.

Es ist aber auch immer noch so, dass niemand im Roten Rathaus, in den Ministerien, im Bundeskanzleramt oder den Laboren dieser Welt weiß, wie der Corona­masterplan aussieht. Ganz einfach, weil es dafür keine Blaupause gibt, die die Menschheit aus irgendeiner Schublade ziehen könnte.

Was wir aber gerade sehr wohl merken: Sowohl der Weg in den Lockdown als auch die Route wieder hinaus gehorchen ihren eigenen Dynamiken. Auch wenn der R-Wert steigt, fallen die Kontaktbeschränkungen. Ein Widerspruch? Eher lernen wir gerade, mit einem Risiko umzugehen, das wir nicht wirklich kennen, aber mit dem wir leben müssen. Und dass Leben und Lockdown sich in vielerlei Hinsicht auf mittlere Sicht ausschließen, ist eine gemachte Erfahrung in diesem Frühjahr.

Und noch eine Coronalektion: Ohne Solidarität landet man im Zweifel ganz schnell wieder im Lockdown. Da können sich die GütersloherInnen bei der profitmaximierten Fleischindustrie bedanken – und die BerlinerInnen bei ihrer Nebenfrau oder ihrem Nebenmann in Bus und Bahn, wenn die oder der den Mund-Nase-Schutz irgendwo unterm Kinn oder gar nicht trägt. Zumindest laut BVG-Empirie sollen das zuletzt bedenklich viele gewesen sein.

Insofern ist der Preis der relativen Freiheit, die wir wieder (oder immer noch) genießen, das Bußgeld bei Verstößen gegen die Maskenpflicht. Das hat der Senat nämlich auch noch beschlossen am Dienstag: Renitente Maskenverweige­rerInnen dürfen bis zu 500 Euro berappen.

Einige sind ja der Meinung, damit verlasse der Senat jetzt die appellative Ebene und zeige klare Kante. Tatsächlich ist es maximal ein verschärfter Appell, weil die Polizei bloß stichprobenartig kontrollieren soll und die BVG ihre MitarbeiterInnen bisher nicht als zuständig sieht.

Mehr zulassen und gleichzeitig an anderer Stelle die Daumenschrauben anziehen hat aber ja vor allem einen psychologischen Effekt: Den verantwortlichen AmtsträgerInnen kann man nicht nachsagen, sie hätten gedankenlos gelockert und seien sich des Risikos nicht bewusst. Und die BerlinerInnen werden zugleich daran erinnert: Es kann auch ganz schnell wieder wehtun. Anna Klöpper

Dass Leben und Lockdown sich in vielerlei Hinsicht auf mittlere Sicht ausschließen, ist eine in diesem Frühjahr gemachte Erfahrung

Anna Klöpper über die beschlossenen Lockerungen der Coronaregeln

Verwässerung auf den letzten Metern?

Enteignungs-Volksbegehren steckt nach Willen der SPD fest

Mit Taschenspielertricks und juristischen Feinheiten versuchte die SPD vergangene Woche, die demokratisch legitimierte Volksgesetzgebung auf den letzten Metern ad absurdum zu führen. Eigentlich waren sich schon vor zwei Wochen Senat und Vertreter:innen der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen einig, dass das Volkbegehren rechtlich zulässig ist. Dennoch versuchten die Hausjuristen der SPD-Innenverwaltung auf den letzten Metern in Verhandlungen am Freitag noch einmal, den Beschlusstext zu verwässern. Die Gespräche zogen sich bis in den Nachmittag. Bei Redak­tionsschluss stand der Ausgang noch nicht fest (mehr auf taz.de).

Der größte Streitpunkt: eine konkrete Formulierung im Beschlusstext. In dem steht nämlich wörtlich, dass der Senat doch bitte ein Gesetz zur Vergesellschaftung erlassen möge. Wörtlich: „Daher wird der Senat von Berlin zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz aufgefordert.“

Das aber sei nicht statthaft, argumentieren die Juristen aus der SPD-geführten Innenverwaltung von Senator Andreas Geisel. Man könne den Gesetzgeber in einem Beschlussvolksbegehren nicht auffordern, ein Gesetz zu erlassen, so die Argumentation. Dafür gebe es ja ein Gesetzesvolksbegehren, wo über ein konkret vorgelegtes Gesetz entschieden werde. Man könne sich ja nicht als Gesetzgeber vorschreiben lassen, welches Gesetz man erlässt, so die Argumentation.

Klingt kompliziert? Unlogisch? Ja, ist auch eher juristische Haarspalterei als eine nachvollziehbare Argumentation. Die Initiative war nach einem Anruf aus der Innenverwaltung, nicht ganz zu Unrecht, erbost.

Auch der Rechtswissenschaftler Ulrich Battis, der vom Senat als Gutachter zum Mietendeckel beauftragt war, hält die Formulierung des Volksbegehrens für zulässig: „Der Satz ist absolut korrekt. Ich bin der Meinung, es ist hinreichend konkret, den Senat zur Erarbeitung eines Gesetzes aufzufordern“, sagte er der taz am Freitag, während die Verhandlungen in der Innenverwaltung liefen.

Auch eine mögliche Alternative, die auf dem Tisch gelegen haben soll – nämlich die Formulierung „Gesetz“ in „Maßnahmen“ abzuschwächen – wäre aus Sicht von Battis eine Verwässerung: „Wenn man das Wort ‚Gesetz‘ etwa durch ‚Maßnahmen‘ ersetzt, hat der Gesetzgeber einen sehr weiten Handlungsspielraum.“ Die Opposition könne dann sagen: Geeignete Maßnahmen wäre auch Neubau, so Battis – „das aber will das Volksbegehren nicht: Die wollen Sozialisierung von Wohnraum, wie es nach Art. 15 Grundgesetz möglich ist. Offen bleibt aber natürlich die Finanzierung.“ Battis hält das Feilschen um die Formulierung „für ein politisches Argument. Die Politik will mehr Spielraum.“

Eine schöne Fußnote dabei: Die SPD, die mit der seit einem Jahr andauernden Prüfung des Volksbegehrens für Vergesellschaftung auf die Bremse drückt, kämpft gewissermaßen auch gegen sich selbst, wie Battis erklärt: „Die Aufnahme des Sozialisierungs-Artikels ins Grundgesetz war damals ein Zugeständnis an die SPD – die wollten damals noch So­zia­lismus und hätten ohne Artikel 15 dem Grundgesetz nicht zugestimmt.“

Die SPD verfängt sich also mit ihren juristischen Tricks sogar in historischen Widersprüchen. Traurig anzusehen.

Gareth Joswig