: Vom Covid in die Traufe
Seit Beginn der Coronakrise schauen wir regelmäßig in unsere europäischen Nachbarstädte
Aus Paris Rudolf Balmer
Viele Boutiquen sind leer, in den Warenhäusern, die ihre ersten KundInnen bei der seit Wochen ersehnten Wiederöffnung mit Applaus (und Desinfektionsgel) begrüßt hatten, herrscht kein Gedränge. Offenbar hat der Pariser Bevölkerung das Shopping in den Konsumtempeln, auf das sie während Wochen verzichten musste, gar nicht so sehr gefehlt. Ökonomen hatten vorausgesagt, dass die Leute einen Nachholbedarf hätten und das in den letzten Wochen gesparte Geld ausgeben würden. Sie kommen indes nur zögernd, und den Ladenbesitzern zufolge kaufen sie weit weniger als erhofft.
Auch in den Restaurants und Cafés, die in Paris seit dem 2. Juni zunächst ausschließlich auf ihren Terrassen servieren dürfen, sind viele freie Plätze vorhanden. Die meisten Lokale, die draußen über Platz für Tische und Stühle verfügen, haben mit einer Sondergenehmigung der Bürgermeisterin auf Plätzen, Parkfeldern oder auf dem Gehsteig expandiert. Damit soll dieses exklusive Openair-Geschäft rentabel werden. Ist vielleicht die Nachfrage auch in der Gastronomie, die sich zuvor auf den Take-away beschränken musste, gar nicht groß?
Die Schlussfolgerung ist nur teilweise stichhaltig, denn erst jetzt realisiert man, dass auf den Straßen und in den Geschäften die sonst so zahlreichen Touristen und ausländischen KundInnen völlig fehlen. Über den Daumen gepeilt müssen diese fast die Hälfte der Leute ausmachen, die normalerweise im Zentrum unterwegs sind. Und als ob die ausbleibende Kundschaft aus dem Ausland nicht dramatisch genug wäre, macht auch noch das nasskalte Wetter einen Strich durch die Rechnung der Wirte. Falls sie in das Wiedereröffnungsgeschäft auch noch viel Geld investiert haben, kommen sie finanziell vom Covid in die Traufe.
Die Abkühlung würde zu einem Besuch der vielen Pariser Museen einladen. Diese aber öffnen wie die Sehenswürdigkeiten nur nach und nach mit einer beschränkten Zahl von reservierten Eintrittskarten. Die größeren Museen wie das Centre Pompidou oder der Louvre warten bis Anfang Juli.
Doch es ist längst nicht alles ist nur trist: Meiden für gewöhnlich die PariserInnen auf der Straße den direkten Augenkontakt, schauen sich jetzt viele mit authentischer Neugier an: Wer verbirgt sich wohl hinter der Gesichtsmaske? Der Virenschutz ist das unerwartete Modeaccessoire der Verführung auf der Avenue des Champs-Élysées. Offenbar herrscht auch für Flirts ein echter Nachholbedarf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen