der rote faden: Das Sowohl, das Als-auchund ich
Durch die Woche mit Johanna Roth
Diese Woche war mal wieder eine ganz schöne Herausforderung für das Selbst und seinen Einordnungszwang. Wir Menschen mögen es eindeutig, Widersprüche wollen wir auflösen, Unentschlossenheit gilt in der selbstoptimierten Performancegesellschaft als Schwäche, und eine Meinung hat sowieso jede*r zu allem zu haben. Aber die Welt ist und bleibt kompliziert, da kann man sie sich noch so sehr in kleine Scheiben schneiden und feinsäuberlich in Schubladen sortieren, die man in den passenden Momenten aufzieht und daraus wahlweise eine „klare Haltung“, ein „kritisches Urteil“ oder auch einen „hot take“ serviert.
Eine – fiktive – Kolumnistin namens Carrie Bradshaw, die Hauptfigur der Serie „Sex and the City“, leitete die zentrale Fragestellung ihrer Texte stets mit der Formulierung „I couldn’t help but wonder“ ein, „ich kam nicht umhin, mich zu fragen“. Ich habe das immer für eine amerikanisch-manierierte Art des Sprechens gehalten, aber so langsam merke ich, sie war da etwas auf der Spur. Fragen wir mal Tante Wikipedia. Die sagt: „Ambivalenz (lateinisch ambo „beide“ und valere „gelten“) bezeichnet einen Zustand psychischer Zerrissenheit. Dabei bestehen in einer Person sich widersprechende Wünsche, Gefühle und Gedanken gleichzeitig nebeneinander und führen zu inneren Spannungen.“
Diese kognitiven Wachstumsschmerzen treten bei mir zum Beispiel auf, wenn ich an Philipp Amthor denke, der in dieser Woche eine Art christdemokratisches Schwellenritual durchschritt: Der Spiegel berichtete über Amthors Verquickung von Mandat und Geschäftsinteressen für das IT-Unternehmen Augustus Intelligence. Transatlantikflüge, Champagner und Bittbriefe an den Bundeswirtschaftsminister – das wirkt alles sehr einschlägig, zumal Amthor als Jurist wissen musste, was er da tat. Gleichzeitig schwingt in diesem Jungen aus Ueckermünde, dessen Anzüge und Sprechweise verklemmter nicht sein könnten und der plötzlich umworben wurde von Männern, die ihm das Gefühl einflößten, bei den Coolen mitzumachen – zu denen er ausgerechnet Hans-Georg Maaßen zu zählen scheint, noch so ein Mann mit Geltungssuchtproblem –, eine gewisse Tragik mit.
Ich komme nicht umhin mich zu fragen: Kann man den immer wieder unangenehm aufgefallenen und nun mutmaßlich auch käuflichen Philipp Amthor auf das Schärfste verurteilen, sich seinen Rückzug aus der Politik wünschen – und dennoch Mitleid haben, weil sein Engagement in den Kreisen von Augustus Intelligence so offenkundig von Sehnsucht nach Anerkennung getrieben war? Und damit meine ich nicht jenes dahingeschmunzelte „Er ist eben noch jung“, das aus der Unionsfraktion dazu zu hören war.
Soll man sich, noch ein Aufreger dieser Woche, über das Enthüllungsbuch von Donald Trumps ehemaligem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton freuen, dank dem wir nun wissen, dass Trump China um Hilfe für seine Wiederwahl im November bat?
Oder verbietet sich das nicht angesichts der Tatsache, dass Bolton sich seinerzeit weigerte, im Amtsenthebungsverfahren gegen Trump auszusagen, mit 2 Millionen Dollar Buchvorschuss aber kein Problem zu haben scheint? Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie das US-amerikanische Nachrichtenportal Mother Jones, das titelte: „Sag es unter Eid, Arschloch“. Aber die Selbstgerechtigkeit, mit der Bolton nun aus dem Ohrensessel heraus seine Rolle in der Geschichte geraderücken will, ist schon bemerkenswert. Zumal zu Boltons Motiven auch Enttäuschung darüber zählen dürfte, dass nicht mal Trump ihn fröhlich den Iran bombardieren ließ, wie er es sich schon so lange gewünscht hatte.
Und doch: Boltons Buch könnte es jetzt sein, das erheblich dazu beiträgt, Donald Trump endlich zu Fall zu bringen. Sei es, weil darin Dinge stehen, die Trumps Umfragewerte noch weiter sinken lassen und ihn schließlich aus dem Weißen Haus kegeln, sei es, weil ihm im unwahrscheinlichen Fall einer Wiederwahl weitere Verfahren bevorstehen, aber schlechtere Mehrheitsverhältnisse. Dafür sowohl Dankbarkeit zu empfinden als auch Bolton innerlich mit unflätigen Worten zu bedenken, das war in Washington, D. C. das gedankliche Spagat der Woche.
Dass man mehrere Meinungen oder auch gar keine hat, gibt niemand gerne zu, erst recht nicht auf Twitter. Da gilt: „Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt“, wie Tocotronic mal sangen, als Philipp Amthor noch ein Kleinkind war, und sie hatten sehr recht dabei. Vielleicht kommt’s gerade auf dieses Gefühl in der Mitte an, das wir aushalten müssen. Lustigerweise ist Tocotronic ja diese Band, deren Songs ein hochambivalentes Gefühl der Hassliebe erzeugen wie keine andere. Aber vielleicht ist das auch wieder nur mein Schubladendenken.
Nächste Woche Ariane Lemme
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