Kirchenkuppeln aus Softeis

IMMER WEITER (2) Leopardenfell auf dem Mähdrescher und funkelnde Steckdosen: der Weg durch Russland

Das Navi zeigt nur noch die Himmelsrichtung, aber Lenin weist uns mit ausgestreckter Hand den Weg

Nach Kirgistan? Sergej bekreuzigt sich, als er unser Vorhaben auf der Karte sieht. Dann kratzt er sich am Bauch. Er trägt eine Badehose, Sandalen und ein goldenes Kreuz im Brusthaar.

Dabei müssen wir nur noch zwei Länder und drei Zeitzonen weiter. Den halben Weg haben wir schon hinter uns, irgendwo zwischen Don und Wolga war die Mitte. Insgesamt sind es 7.000 Kilometer von Deutschland bis nach Kirgistan, wo wir den Sprinter an das Sozialdorf Manas spenden. Sergej ist nicht umsonst so freizügig bekleidet. Russland ist heiß, das Thermometer zeigt 38 Grad im Schatten. Die Babuschkas schmelzen fast hinter ihrem Angebot von Wollsocken und Handschuhen aus Kaninchenfell mit Sternchenmuster. In Blechverschlägen brüten Kupferkessel mit Cay. Männer mit rasierten Schädeln grillen Schaschlik. Alles dampft.

Und dann sind wir in der russischen Weite. Das Klischee stimmt, die Felder reichen bis zum Horizont. Wie in einem Western weht der Wind trockene Grasbüschel durch die Luft. Vögel fliegen auf, wenn sich unser Sprinter nähert. Statt Melonen und Tomaten gibt es am Straßenrand Honig und Trockenfische.

Wir müssen nach Wolgograd, das ehemalige Stalingrad, und dann an Marx vorbei durch Engels und Puschkino Richtung Kasachstan. Das Navi zeigt nur noch die grobe Himmelsrichtung, aber Lenin weist uns mit ausgestreckter Hand den Weg.

Russland ist das größte Land der Welt. Niemanden stört es, wenn irgendwo zwischen einem Friedhof und einem Umspannwerk eine stillgelegte Fabrik vor sich hin rostet. Wenn die Stallanlagen ehemaliger Kolchosen verrotten. Wenn ein Dorf keinen Namen hat. Dann nummeriert man es eben. In Dorf Nr. 30.2 gibt es Bären auf den Bierdeckeln.

Richtig wild ist es dann in Wolgograd. Es ist der Tag der Fallschirmjäger. Männer in Ringelhemdchen springen von der Promenade in die Wolga und skandieren den ganzen Tag „Slawa WDW“, Ehre dem WDW (Wosduschno-Desantnye Woiska, russische Luftlandetruppen). Ohne Variationen. Aber badende Russen sind kein Indikator für die Wasserqualität. In der Ukraine wusste man, dass die Flüsse verseucht sind. Hier sieht man es.

Fast 400 Kilometer nördlich von Wolgograd liegt Saratow, die Stadt auf dem gelben Hügel. Die Wolga ist hier drei Kilometer breit, es gibt Springbrunnen und eine Promenade, nur die Gostiniza, das Hostel, hat noch keine Lizenz für Ausländer. Aber Taalay, unser Kirgise und Übersetzer, weiß, dass man in Russland auch privat unterkommen kann. Zum Beispiel bei Klawdija Iwanowna. Die 80-Jährige flitzt in Pantoffeln durch alle Zimmer, zupft die Satinbezüge zurecht und kontrolliert noch schnell die Türklinken, dann dürfen wir rein.

Die Wohnung ist in einem typischen Mietshaus der Chruschtschow-Zeit: Die Dusche funktioniert nur mit einem Schraubenschlüssel, im Wohnzimmer liegt ein Waffenmagazin, die Steckdosen funkeln im Dunkeln. Aber Saratow hat auch viele Holzhäuschen mit geschnitzten Simsen in unterschiedlichen Verfallsstadien. Und eine Kirche mit bunten Kuppeln, die wie Softeis aussehen. Gegen die Hitze kleben die Menschen die Fenster mit Alufolie ab und trinken Kwas, einen Getreidesud, der nach Brot, Bier und Cola schmeckt.

Über Land geht es weiter nach Osten. Die Schwarzerdeböden tragen goldenen Flaum. Kurz vor der kasachischen Grenze treffen wir Sascha. In Tarnklamotten posiert er vor seinem Mähdrescher und stellt uns die Securityleute der Sowchose vor. Eigentümer ist jetzt nicht mehr der Staat, sondern ein privater Investor in Moskau. Als wir kommen, gucken die Securitys gerade „Wolf und Hase“, die russische Version von „Tom und Jerry“. Keiner weiß genau, wie groß die Sowchose wirklich ist. Man schätzt sie auf 20.000 Hektar. Etwa 100 Männer arbeiten hier, nicht viel für die Fläche. Dafür ist der Fahrersitz von Saschas Mähdrescher mit Leopardenfell bezogen.

CATARINA VON WEDEMEYER

■ Catarina von Wedemeyer bringt im August zusammen mit drei anderen jungen Leuten einen Sprinter, der mit Spenden erworben wurde, zu einem kirgisischen Sozialprojekt, 7.000 Kilometer weit