Ein kleines bisschen leichter wählen

Das Wahlrecht von Obdachlosen will die Koalition stärken. Der Senat hat geprüft und empfiehlt in erster Linie, dass Ehrenamtliche ja die Betroffenen mehr informieren könnten

Von Lotta Drügemöller

Wahlunterlagen gibt es aus gutem Grund nicht an der Supermarktkasse – Wahlunterlagen, so gehört sich das, werden den Bürger*innen nach Hause geschickt, an ihre Meldeadresse. Blöd ist das nur, wenn man keine Meldeadresse hat.

Obdachlose haben es schwer, an Wahlen teilzunehmen. Denn wer keinen festen Wohnsitz hat, hat nicht nur Probleme, einen Brief zu empfangen – er oder sie ist von Amts wegen weder im Melde- noch im Wahlregister eingetragen. Betroffene müssen erst einen Antrag darauf stellen: Eine ziemlich hohe Hürde, die Innere Mission und andere Träger der Obdachlosenhilfe schon länger angemahnt hatten. Die rot-grün-roten Bürgerschaftsfraktionen hatten sich des Themas im Dezember angenommen und den Senat aufgefordert zu prüfen, wie die Situation verbessert werden kann. Nach einem halben Jahr liegt nun das Ergebnis vor: Nicht alle Ideen der Fraktionen können demnach verwirklicht werden. Die Antragsstellung aber soll den Wohnungslosen erleichtert werden.

Grundsätzlich muss sich, wer wählen möchte, mindestens seit drei Monaten im Wahlgebiet aufhalten. Ohne Wohnsitz reicht laut Bundeswahlgesetz der Nachweis des Wählers, „dass er unter Umständen lebt, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort, in diesem Land oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt“. Obdachlose müssen also erklären, wo sie Platte machen.

Im Prüfpapier des Innensenators wird betont, dass die Wahlämter sich auch in der Vergangenheit schon um Obdachlose bemüht hätten. So seien etwa bei der letzten Bürgerschaftswahl an 15 Einrichtungen, die von Obdachlosen aufgesucht wurden, Plakate aufgehängt worden, die über den Weg zur Wahl informierten. In Zukunft sollen Wohnungslose in diesen Einrichtungen aber auch persönlich angesprochen werden.

Das Land zieht sich aus dieser Aufgabe jedoch weitgehend heraus: Die zuständige Innenbehörde sieht stattdessen vor, dass die Wohnungslosenhilfe dafür nach ehrenamtlichen Helfer*innen sucht. Diese könnten „gegebenenfalls durch das Wahlamt geschult und mit entsprechenden Materialien versorgt werden“, heißt es im Senatsbericht.

Die Anträge könnten dann in den Einrichtungen mit Unterstützung der Ehrenamtlichen ausgefüllt und gesammelt ans Wahlamt weitergeleitet werden. Über die Treffpunkte könnte man auch das Problem mit den Wahlscheinen lösen: Die Briefwahlunterlagen könnten direkt an sie versandt werden. Das „Café Papagei“ etwa verwaltet laut Behörde schon jetzt Postfächer für rund 600 Personen in der Stadt. In Bremerhaven soll das Wahlamt dafür mit der „Gesellschaft für integrative soziale Beratung und Unterstützung“ (Gisbu) zusammenarbeiten.

Die Ursprungsidee ging weiter – geprüft werden sollten auch Wahllokale in Treffs für Obdachlose

In Hamburg wird ein ähnliches Konzept bereits umgesetzt: Laut der Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt war die Antragsstellung auf eine Wiederaufnahme ins Wählerverzeichnis dort auch schon 2017 direkt in den Tagesaufenthaltsstätten möglich. Statt nur durch Ehrenamtliche wurden die Wohnungslosen auch direkt vom Land informiert, wie sie ihre Stimme abgeben können: Der Landeswahlleiter kam zu einer persönlichen Fragestunde in einen Tagestreff.

In Bremen hatten die Fraktionen ursprünglich einige weitergehende Anregungen eingebracht – geprüft werden sollte vom Senat nicht nur, wie man die Zahl der Obdachlosen im Wählerverzeichnis erhöhen könne, sondern auch, inwiefern in Obdachlosentreffpunkten Wahllokale eingerichtet werden könnten. Doch dieser Vorschlag ist vorerst vom Tisch: Eigene Wahllokale nur für Obdachlose widersprächen laut Innenbehörde dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Bremen hatte bereits 2017 geplant, eigene Wahllokale für die Europawahl 2019 in Brennpunktschulen einzurichten; der Bund erteilte dem eine Absage.

Andererseits könnte man ein Wahllokal in einem Treffpunkt für Obdachlose einrichten, das für alle Bürger*innen offen stünde. Im „Bremer Treff“ im Schnoor wäre dies möglich, die Träger sind einverstanden – doch empfehlen tut der Senat das nicht. Da die Obdachlosen ja ohnehin ins Wählerverzeichnis eingetragen sein müssten, „würde die Einrichtung eines Wahllokals in einem Treffpunkt für Obdachlose selbst für wohnungslose Wahlscheininhaber nur eine sehr begrenzte Erleichterung zur Ausübung des Wahlrechts schaffen“, heißt es. Angst hat man offenbar vor der Reaktion anderer Bürger*innen: Im Schnoor sei die St.-Johannis-Schule lange als Wahllokal eingeführt; eine Verlagerung „dürfte in der Bevölkerung kaum auf Zustimmung stoßen“.