wiederentdeckt: Hamburg braucht seine Freibäder
Sie gelten als die Dinosaurier der modernen Freizeitgesellschaft: Freibäder mit riesen Becken, Rutsche und reichlich Liegewiese drumherum. Wer geht da schon hin? Besser abreißen, die Stadt verdichten, schöne Wohnungen drauf bauen und eine modernes Hallenbad mit platzsparendem 25-Meter-Außenbecken daneben – plus ein bisschen Liegestuhlterrasse.
Doch in der Coronazeit ist Platz auf einmal wieder wichtig. Die „Bäderland“ Hamburg hat ein Konzept vorgelegt, mit dem sie die Hygienevorgaben erfüllen kann, die der Bundesverband der Bäder vorgibt. Schwimmen soll möglich sein, denn im Becken werden Viren vom Chlor abgetötet und durch das viele Wasser verdünnt. Aber Rein- und Rausgehen ist in flächenoptimierten Freizeitkombibädern meist nur durch ein Gebäude möglich. Und auch das Sichaufhalten mit Abstand klappt auf großen Wiesen an der frischen Luft natürlich besser. Infrage für die Öffnung kämen deshalb zunächst die reinen Freibäder, wie Bäderlandsprecher Michael Dietel jüngst im Hamburger Abendblatt erklärte. Dazu zählten neben Marienhöhe, Osdorfer Born und Neugraben auch die Bäder Aschberg und Rahlstedt.
Das Timing könnte dramatischer nicht sein. Dem Bad am Rahlstedter Wiesenredder steht in diesem Jahr die letzte Saison bevor, bevor es durch ein modernes Kombibad an anderer Stelle ersetzt wird. Auch das Aschberg-Bad in Hamm ist bereits im Visier der Stadtverdichtungsstrategen. Vom alten Freibad Ohlsdorf hingehen, um das die Bürger vergeblich kämpften, zeugt gerade nur noch ein tiefes Bauloch. Und dass es am Dulsberg und am Lattenkamp mal schöne Freibäder gab, wissen nur noch Kinder der Boomer-Jahre.
Wenn also die Gesundheitsbehörde erlaubt, die Freibäder zu öffnen, wozu es, wenn es die Infektionszahlen zulassen, bald kommen könnte, dann könnten sich diese Freibäder – ähnlich wie gerade die Spielplätze – lange nicht gekannter Beliebtheit erfreuen. Und wenn Schleswig-Holstein wieder meint, Tagesausflügler an der Grenze abfangen zu müssen, hätten wir Hamburger immerhin noch diese alten Schönheiten.
Und wäre das hier jetzt ein kitschiger US-amerikanischer Spielfilm, hätten die Stadtoberen ein Einsehen und Corona brächte ihre Rettung in letzter Saison. Kaija Kutter
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