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Machtteilung in Kabul

Der afghanische Präsident Ghani und sein Rivale Abdullah erzielen Einigung

Afghanistan soll nach monatelanger Regierungskrise doch wieder eine Koalitionsregierung bekommen. Darauf einigten sich am Sonntagnachmittag Präsident Aschraf Ghani und sein schon bisheriger Koalitionspartner Abdullah Abdullah, der im September 2019 Ghanis Hauptgegner bei der Neuwahl des Präsidenten war. Die Unterzeichnung der Vereinbarung zu einer Machtteilung wurde aus dem Kabuler Präsidentenpalast über Facebook gestreamt. Die versteinerten Mienen beider Politiker lassen ein hartes Ringen um die Umsetzung des Abkommens ahnen. Beide konnten sich nicht zu einem Händedruck durchringen und wechselten während der Zeremonie kaum einen Blick miteinander.

Der Ausgang der Wahl im vorigen Jahr war eng und umstritten. Ghani übertraf laut Wahlkommission im ersten Wahlgang die 50-Prozent-Hürde um weniger als ein Prozent knapp. Abdullah bezeichnete das als Betrug und warf der Kommission vor, parteiisch agiert zu haben. Diese hatte kurzerhand 300.000 bis zuletzt umstrittene Stimmen für gültig erklärt. Wäre nur ein Bruchteil davon als ungültig gewertet worden, hätte ein zweiter Wahlgang stattfinden müssen. Da parallel Bemühungen um den Beginn von Friedensgesprächen mit den Taliban im Gange waren, bemühten sich vor allem die USA – aber auch prominente afghanische Politiker und frühere Warlords –, beide Kontrahenten zu einer Einigung und damit auch zu einer einheitlichen Position und Verhandlungsdelegation zu zwingen. Abdullah wurde dazu bewegt, den Wahlsieg zu akzeptieren, wenn auch nicht ausdrücklich anzuerkennen.

Ghani und Abdullah standen bereits seit 2014 an der Spitze einer Nationalen Einheitsregierung (NUG), die nach der bereits misslungenen 2014er Wahl nur auf Druck der USA zustande kam. Sie erwies sich als wenig effektiv und verzettelte sich jahrelang vor allem über die Verteilung der Regierungsämter. Ghani hatte 2014 den Friedensprozess zur Chefsache erklärt, war aber gescheitert, Direktgespräche mit den Taliban in Gang zu bringen. Zudem stieg unter NUG-Ägide die Zahl der Afghan:innen, die unter der Armutsgrenze leben, von 38 auf 55 Prozent. Vor allem Ghani versuchte deshalb, die jetzige Einigung nicht wie eine NUG 2.0-Variante aussehen zu lassen.

Laut der Einigung vom Sonntag wird Abdullah nicht mehr, wie zwischen 2014 und 2019, direkt der Regierung angehören. Aber die Allianz früherer Mudschaheddinparteien, die er unterstützt, soll die Hälfte der Kabinettsposten erhalten, darunter für Inneres und Wirtschaft. Abdullah wird stattdessen einem neu geschaffenen Hohen Rat für Nationale Versöhnung vorstehen und damit für geplante Verhandlungen mit den Taliban verantwortlich sein.

Es ist unklar, ob das ein Zugeständnis Ghanis ist oder er seinem Rivalen die Verantwortung für ein Unterfangen überlässt, das er für aussichtslos hält. Vorige Woche hatte Ghani nach einer Anschlagswelle die Regierungstruppen wieder in den Offensivmodus versetzt. Sein Sicherheitsberater Hamdullah Moheb erklärte, es mache „wenig Sinn“, mit den Taliban zu verhandeln. Die Taliban wiesen vehement Mohebs Anschuldigung zurück, sie seien für den brutalen Anschlag auf eine Geburtsstation am vorigen Dienstag verantwortlich gewesen, und bezeichneten Ghanis Befehl als „Kriegserklärung“.

Die neue Regierung soll auch von einem neuen Hohen Staatsrat beraten werden. In Kabul heißt es, dass ihm Ex-Präsident Hamid Karsai und mehrere frühere Warlords angehören sollen, die auch der Unterzeichnung beiwohnten. Dazu wird auch Abdulraschid Dostum stoßen, bis 2019 war er Ghanis Vizepräsident, aber nach Übergriffen gegen einen rivalisierenden Politiker, bei denen er persönlich anwesend gewesen sei, ist Abdulraschid Dostum ins politische Abseits geschoben.

Er soll zudem den Titel eines Marschalls tragen und auch dem Nationalen Sicherheitsrat angehören. Die Menschenrechte fallen unter Ghani erneut politischem Überlebenswillen zum Opfer.

Thomas Ruttig, Ali Yawar Adili, Kabul

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