Corona und die Fischbestände: Fischers Fritze fischt nicht

Die EU versagte mit ihrem Ziel, ihre Fischbestände bis 2020 zu regenerieren. Das könnte jetzt unfreiwillig klappen. Wegen der Pandemie.

Ein schwarm Kabeljau

Ein alter Kabeljau frisst einen jungen Kabeljau Foto: imago

Die Coronapandemie beschert den überfischten Weltmeeren womöglich eine kräftige Erholungsphase. 2020, sagt Rainer Froese vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, könnte in der EU als das erste Jahr ohne Überfischung in die Geschichte eingehen. Der Rückgang der Fischerei durch pandemiebedingte Ausfälle biete die einmalige Chance zur nachhaltigen und dauerhaften Erholung der Bestände. „Das Virus erledigt nebenbei, was die Fischereiminister nicht geschafft haben“, sagt Froese.

Die Organisation Global Fishing Watch, die Satellitendaten auswertet, hat dokumentiert, wie die Pandemie den Fischereidruck in den Weltmeeren reduziert. Sie taxiert den Rückgang der Fangfahrten industrieller Schiffe über 24 Meter auf weltweit 10 Prozent, seit Corona am 11. März zur Pandemie erklärt wurde. In europäischen Gewässern fällt der Rückgang noch deutlicher aus. Über mehrere Wochen seien die Aktivitäten der europäischen Fangnationen um „50 Prozent und mehr“ regelrecht eingebrochen. Die EU-Kommission schätzt die Umsatzeinbußen der Fischer und Aquakulturbetreiber auf 30 Prozent.

Fischereiexperte Froese erinnert daran, dass der Einbruch ausgerechnet 2020 komme. Die 2014 verabschiedete EU-Fischereireform hatte das Ziel ausgegeben, dass sich bis 2020 alle Bestände in europäischen Gewässern erholt haben und nachhaltig befischt werden müssen. Das Ziel wurde verfehlt, mehr als 40 Prozent der EU-Bestände sind nach Aussagen Froeses noch immer in kritischem Zustand. Im Mittelmeer sind nach Zahlen des WWF sogar 80 Prozent der Bestände überfischt.

Vor allem Kabeljau und Hering in Nord- und Ostsee, glaubt Froese, werden sich nun erholen. Einige Bestände dort seien so schwach, dass sie, entgegen der rechtswidrig beschlossenen Fangquoten, gar nicht befischt werden dürften.

Vor allem die Schließung der Restaurants und Hotels hat die Nachfrage nach Frischfisch und auch die Preise auf Talfahrt geschickt. Bei den Panik- und Hamsterkäufen haben sich Millionen Haushalte vor allem mit Konserven eingedeckt, aber nicht mit frischem Fisch.

Zudem hat der Lockdown auch viele Kleinfischer in die Häuser verbannt. Und viele Häfen waren für ausländische Schiffe geschlossen. Den großen Trawlern fehlt auch das Personal. Sie sind stark mit migrantischen und osteuropäischen Hilfskräften besetzt. Die konnten jetzt nicht, wie üblich, nach monatelangen Fangfahrten komplett ausgetauscht werden. Die Arbeiter durften weder aus- noch einreisen. Außerdem sind auf den Schiffen die Hygieneregeln kaum einzuhalten. Die Welternährungsorganisation FAO weist darauf hin, dass die Risiken für Schiffsbesatzungen besonders hoch seien. Ein Corona-Ausbruch auf hoher See hätte wegen der Enge dramatische Folgen, schnelle ärztliche Hilfe sei nur eingeschränkt möglich.

Die FAO thematisiert nur in einem Nebensatz die mögliche Erholung der Fischbestände. Sie sorgt sich mehr um die Versorgungslage und das Einkommen der Fischer und Aquakulturbetriebe. Eine Verlängerung der Fangsaison, so heißt es in einem FAO-Papier, könnte die Verluste teilweise kompensieren. Auch Forderungen nach höheren Fangquoten im nächsten Jahr kursieren. Froese warnt vor solchem Rückfall. Wenn sich die Bestände jetzt nachhaltig erholen, dann könnten auch die Fischer dauerhaft profitieren. „Gesunde Bestände bringen allen dauerhaft bessere Fänge und Erträge“, sagt Froese.

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