Benjamin MoldenhauerPopmusik und Eigensinn: Ein grenzenloses Alles-ist-erlaubt
Die Neunzigerjahre waren musikalisch eine gute Zeit. Vieles lief durch- und nebeneinander her, Indie entdeckte Elektronik und HipHop, aus Hamburg kamen die besten Texte. Und US-Bands wie Tortoise, June of 44 oder auch, weniger bekannt, A Minor Forest und Dianogah zerlegten Rock, liebevoll, aber bestimmt. Die Ansätze der Bands, die in den Neunzigerjahren auf angenehm unrockistische Weise mit Rock rummachten, waren sehr unterschiedlich und verbunden nur durch eine große Offenheit in der Herangehensweise. Der Begriff Postrock war und ist zur Sortierung hilfreich, weil man halt irgendwie weiß, was gemeint ist, aber mehr auch nicht.
Die Bremer Band Im Grunde genommen schließt auf ihrem ersten Album „Eigentlich“ mit an diesen Strang der Rockmusik an, also an eine Phase, in der Gitarre, Bass, Schlagzeug noch einmal interessant und mit einem Mal gar nicht mehr gestrig klangen. „Ein grenzenloses Alles-Ist-Erlaubt“, nennt es Schlagzeuger Henning Bosse. „Wir alle drei hören seit jeher eine riesige Bandbreite verschiedenster Musik, und all das, was wir hören, beeinflusst uns. Bei uns liegen Abba genauso sehr wie U.S. Maple, Strawinsky oder Ligeti, Punk und New Wave oder eben auch Neunzigerjahre-Postrock und Folklore aus allen erdenklichen Ländern auf den Plattentellern.“
Das Ganze ist viel weniger verschachtelt gebaut als bei den vielen Bands, in denen Henning Bosse und der Bassist Thomas Fokke bislang wirkten: Von Wegen, Diametrics und Preposterous (ohne Fokke), die in Bremen weltberühmten Bands Ilse Lau und Die Auch (auch ohne Fokke). Das ist mehr als nur eine Verschiebung, sondern ergibt tatsächlich eine andere Herangehensweise. „Uns geht es darum, was die Musik, wenn wir sie schreiben, von uns will. Es geht also um sehr genaues Hinhören und -fühlen. Darum ging es in den Bands davor nicht ganz so sehr.“ Die Leichtigkeit ist neu, die gab es in den Bands um Bosse und Fokke bislang so ausgeprägt nicht.
Die Kraft von Im Grunde genommen kommt nicht aus Kompression und Massivität; wirklich verzerrt ist die Gitarre von Fiete Pankok nur in einem Stück, das klingt dann aber auch sehr schön. Sie kommt aus einer hohen Konzentriertheit bei gleichzeitiger Tiefenentspannung aller Beteiligten. Instrumentalmusik, die um Bass und Schlagzeug herum zentriert ist und da ansetzt, wo beim SST-Label irgendwann Schluss war. Also eher Jazz-Tugenden, die hier den Ton bestimmen. Man findet gerade nur wenig Musik, die sich über sich selbst so völlig im Klaren ist.
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