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Archiv-Artikel

Das Dilemma des Löwenbändigers – vor 30 Kids

Mit LehrerInnen trainiert Rudi Rhode, wie sie Regeln vertreten können: „Mit Gelassenheit, innerer Haltung, äußerer Haltung – ohne Kämpfe zu führen, denn Kämpfe führen immer zu Motivverschiebung“. Das hilft selbst bei aussichtslosen Fällen – wenigstens dem Lehrkörper

taz: Mit dem Körper spricht jeder – aber nicht alle beherrschen die Körpersprache. Wo wäre mehr Kenntnis über Körpersprache wichtig?

Rudi Rhode: Ich glaube, wir müssen uns nicht alle trainieren. Da wird auch übertrieben. Aber besonders sinnvoll finde ich meine Arbeit da, wo es um Konflikte geht. In Schulen beispielsweise, wo ich oft mit Lehrern oder auch Sozialarbeitern oder Ausbildern zu tun habe.

Welche Probleme haben Lehrer denn?

Dass sie reihenweise vor der Klasse baden gehen.

Und wo hilft dem Lehrer dann die Körpersprache – wenn er Angst hat?

Körpersprache alleine hilft nicht. Lediglich den Körper zu trainieren, ist aufgesetzt. Man muss so ein Training einbetten und auch am Konfliktverhalten arbeiten. Wichtig ist dabei die innere Haltung: Wie erreicht der Lehrer größere Gelassenheit?

Also: die junge Lehrerin steht vor einer Klasse voller Machos, die die Beine vor Männlichkeit kaum unter den Tisch kriegen. Was kann sie tun?

Sie muss zuerst die Konsequenzen klären. Wer genau weiß, im Konfliktfall kann er den Jugendlichen, der gegen die Handy-Aus-Regel verstößt, aus der Klasse verweisen – zum Direktor beispielsweise –, kann innerlich gelassen bleiben. Also hat die Lehrerin zwei Möglichkeiten: Entweder der Schüler macht das Handy aus, oder er muss sich woanders melden. Wenn der Schüler die Klasse trotzdem nicht verlässt, ist das heftig. Auch da ist innere Haltung gefragt. Denn es gibt wieder nur zwei Möglichkeiten: Der Schüler macht das Handy aus, oder er geht raus. Damit der Schüler das halbwegs überdenken kann, braucht er aber zwei Minuten Zeit. So lange muss der Lehrer aus dem Konflikt gehen, weiter unterrichten beispielsweise. Denn jeder Kampf im Konflikt führt zu einer Motivverschiebung.

Sich aufpumpen oder anders darstellen wäre also falsch?

Es gilt: Je gelassener mein Konfliktverhalten, desto höher ist mein Status. Das Lautwerden ist eigentlich innerer Tiefstatus, völlige Hilflosigkeit. Das heißt körpersprachlich: Den höchsten Status im Konflikt hat, wer freundlich an die Regeln erinnert. Je gelassener und lockerer ich bleibe, desto souveräner komme ich rüber. Das kriegt man aber nur hin, wenn man am Schluss wirklich die Möglichkeit hat, den aufmüpfigen Schüler zu sanktionieren. Wer es schafft, die coole Masche der Schüler simultan zu durchschauen und zurückhaltend zu reagieren, der hat Distanz – und kann also gelassener reagieren. Wer aber emotional betroffen ist, folgt meist seinen Konflikt-Automatismen – die heißen Angriff oder Opferstrategie. Entweder gehe ich auf den anderen verbal los oder ich werde als Opfer kleinlaut.

Dem Lehrkörper hilft es also, den Schülern als Einheit gegenüber zu treten.

Ja. Bei konkreten Rollenspielen ist immer wieder Thema, wie Lehrer sich allein quasi als Löwenbändiger fühlen. Dabei gibt es gar nicht so viele Konflikte. Aber Angst kann natürlich lähmen – und dann wird die Lage schwierig.

Haben Schülerinnen eine eigene Masche, gegen Lehrer vorzugehen?

Die entwickeln zunehmend auch männliche Muster und werden massiv: „Sie können mir gar nichts“.

Bei welchen Trainings wissen Sie schon: Heute wird es hart?

Wer richtig die Arschkarte hat, das sind Pädagogen an Schulen für Lernbehinderte oder -benachteiligte. Da sind viele Kids, denen schon ganz viel egal ist. Die wissen genau, sie haben keine Perspektive – und deswegen kann ihnen der Lehrer auch nichts.

Was macht der Kommunikationstrainer dann?

Erstmal weiß ich ja, dass der Lehrer formal tatsächlich wenig Möglichkeiten hat, außer er arbeitet mit sozialem Ausschluss. Das Verbot, am beliebten Sportunterricht teilzunehmen, wirkt manchmal. Aber in einzelnen Fällen, wo die Jugendlichen vollkommen abgeschlossen haben, wo ihnen Gesellschaft keine Perspektive bietet, da sind Lehrer hilflos. Ich erarbeite dann beispielsweise, wie sie trotzdem Regeln vertreten können: mit Gelassenheit, innerer Haltung, äußerer Haltung, ohne Kämpfe zu führen, denn Kämpfe führen immer zu Motivverschiebung. Dem Schüler geht’s um Männlichkeit und Ehre, der Lehrerin um Autorität – schon verloren. Das ist mein Ansatz. Aber ich behandele da natürlich auch nur Symptome. Das geht den Lehrern ähnlich, aber die stellen ihren Unterricht auch nicht ein. Schuld ist eine Gesellschaft, die den Vertrag mit ihren Jugendlichen aufgekündigt hat. Der Vertrag, der heute noch am Gymnasium gilt, hieß zu meiner Zeit: Kind, du gibst jetzt einen großen Teil deiner Freiheiten ab und lernst, was dich nicht interessiert, aber wir glauben du kannst das gebrauchen. Als Gegenleistung bieten wir dir Zukunft. Aber für manche Kids gilt das nicht mehr. Das ist das Dilemma. Fragen: Eva Rhode