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: Zu viel Sickness für Netflix

„The Informer“ (GB 2019, Regie: Andrea Di Stefano). Die DVD ist ab rund 12 Euro im Handel erhältlich.

Zwei Hälften hat der Film, zwischen drei Fronten gerät Pete Koslow (Joel Kinnaman), sein Held. In der ersten der knapp zwei Stunden bewegt er sich draußen. Er war im Knast, hatte bei einer Schlägerei jemanden getötet, sein Körper ist mit Tattoos übersät, seine Miene ist dunkel, in Basslage quälen sich die Sätze, die er spricht, wie gegen ihren und seinen Willen aus seinem Mund. Eigentlich will er jetzt nur seine Ruhe, mit Frau und kleiner Tochter. Das Genre hat entschieden etwas dagegen.

Denn Pete Koslow ist nur aus einem Grund in der Freiheit: Er hat seine Seele dem FBI verschrieben, das ihn als Informanten in die polnische Mafia von New York einschmuggeln will, für die er gearbeitet hat und als Drogen-Lieferant jetzt wieder tätig wird. Seine Verbindungsperson, nur ein Nachname: Wilcox, angemessen undurchsichtig gespielt von Rosamund Pike. Leider geht gleich bei Koslows ersten Deal etwas schief. Ein Mann stirbt und es stellt sich heraus, es war ein undercover tätiger Cop. Nun haben Koslow, aber auch das FBI die New Yorker Polizei auf den Fersen. Der zuständige Ermittler trägt auch nur einen Nachnamen: Grens (gespielt vom Ex-Rapper Common).

Es hilft nichts, Koslow muss, unschuldig schuldig, zurück in den Knast. Dem Mafia-Boss, genannt „The General“ (dämonisch: Eugene Lipinski), kommt das nur recht: Jemanden, der dort die Drogen verteilt, hat er gerade gesucht. Und das FBI sieht seinerseits eine Chance: Mithilfe von Koslow glauben sie, das ganze System der Drogentransporte und Geldflüsse der polnischen Mafia auffliegen lassen zu können. Das ist der größere Teil der zweiten Hälfte von „The Informer“: Pete Koslow im Hochsicherheitsknast. Alle machen ihre Rechnungen, aber sie machen sie ohne den Wirt. Darum geht auch keine davon auf, wie sie soll, was daran liegt, dass keiner weiß, wer der Wirt überhaupt ist.

Zum Beispiel rechnet FBI-Agentin Wilcox nicht mit dem Opportunismus ihres Chefs Montogomery (kurze brillante Auftritte von Clive Owen). Die Mafia rechnet nicht mit dem zähen Überlebenswillen von Koslow. Und keiner rechnet mit der entschlossenen Findigkeit des Ermittlers Grens. So eskalieren die Dinge, drinnen wie draußen. So fliegt irgendwann der halbe Knast in die Luft, die Fäden verwickeln sich, oder verheddern sich, so ganz genau kann man nicht immer folgen, aber das ist nicht wichtig, solange Spannung und Stimmung passen. Das tun sie. „The Informer“ macht keine Mätzchen, hält einen recht kompromisslos bei Laune, drinnen, draußen, zwischen den Fronten.

Hollywood stellt kleine, schmutzige, an allen Fronten mit Freude am Detail und mit Liebe gemachte, sich ihrer Grenzen auf kluge und gelassene Weise bewusste B-Movies wie dieses so gut wie gar nicht mehr her. Aber auch für Netflix hat das zu wenig Slickness, zu viel Brutalität und Sickness und zu wenig Mainstream-Appeal. Es steckt in „The Informer“ vor allem britisches Geld, die Vorlage ist ein schwedischer Thriller des Autorenduos Anders Roslund und Börge Hellström (Letzterer war selbst ein Krimineller, bevor er zum Autor und Aktivisten wurde), dessen Handlung nach New York verlegt wurde. Auch Hauptdarsteller Joel Kinnaman ist Schwede, allerdings mit amerikanischem Vater. Regisseur Andrea Di Stefano wiederum ist Italiener, war Schauspieler (bei Marco Bellocchio, Dario Argento und anderen), bevor er ins Regie-Fach umsattelte.

Was Hollywood war, ein System, das Talente aus aller Welt anzog und amalgamierte, wird hier in Gestalt eines sehr toughen Euro-Puddings rekonstruiert. Das Ergebnis ist ein hoch professionelles Produkt. Wer zwei Stunden übrig hat, kann sie guten Gewissens an diesen Thriller verschwenden. Ekkehard Knörer