Die Vorschwimmerin

Nicht nur wegen ihrer Silbermedaille über 200 m Brust gilt die Krefelderin Anne Poleska als Vorbild für die jungen deutschen Nachwuchsschwimmer. Sie selbst zeigt das am liebsten mit weiteren Taten

AUS MONTREAL JÜRGEN ROOS

Anne Poleska hat sich oft allein gefühlt in den USA. Dann wollte sie ihre Sachen packen und einfach nach Hause fliegen. Nach Krefeld zu ihren Eltern, zu ihren Freunden, in die vertraute Umgebung. Sie hat es nicht getan. Sie hat sich durchgebissen, auch wenn es manchmal weh getan hat. Schließlich war Anne Poleska an die Universität von Alabama gewechselt, um etwas dazu zu lernen. Im Business-Management-Studium und im Schwimmbecken. Ihre Mentalität hat es der 25-Jährigen nicht erlaubt, auf halber Strecke aufzugeben. Sie wollte zeigen, dass sie durchhält und das Ziel erreicht. Und Anne Poleska aus Krefeld hat wirklich etwas dazugelernt in den USA. Nachdem sie im vergangenen Jahr bei den Olympischen Spielen in Athen Bronze über 200 Meter Brust gewonnen hatte, holte sie jetzt bei den Weltmeisterschaften in Montreal Silber. „Ich kann es nicht fassen“, sagte Anne Poleska nach der Siegerehrung, „ich bin superglücklich.“

Es war ein typisches Rennen für die Krefelderin. Sie ließ es langsam angehen und gab hinten raus noch mal richtig Gas. „Manchmal würde ich bei 150 Metern gerne aufhören“, gibt sie zu. Aber auch dann gab sie nicht auf. „Wenn es weh tut, geht es erst richtig los“, sagt sie. Also Durchhalten. Bis zum Ziel. Es war klar, dass sie Leisel Jones nicht mehr würde einholen können. Die Australierin stellte in 2:21,72 Minuten einen neuen Weltrekord auf. Aber ihren zweiten Platz in 2:25,84 gab Anne Poleska nicht mehr her, nur zwei Hundertstelsekunden blieb sie hinter ihrem deutschen Rekord zurück. Wenn’s drauf ankommt, ist auf die 25-Jährige Verlass.

Anne Poleska ist die Vorschwimmerin im Team des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV). Neben Antje Buschschulte und Mark Warnecke, die in Montreal bisher die einzigen deutschen Einzelmedaillen gewonnen hatten. Im Mai ist Anne Poleska zur Athletensprecherin gewählt worden. Dass viele ihrer jungen Teamkollegen bei diesen Titelkämpfen nicht an ihre Bestmarken herangekommen sind, hat sie wohl registriert. Die Kritik daran hat sie mit ihrer eigenen Leistung gekontert. „Ausreden zu suchen entspricht nicht meiner Mentalität“, sagt sie. Auf den Punkt fit sein, im wichtigsten Rennen des Jahres auch mental stark, das zeichnet sie aus. Anne Poleska hofft, dass sie damit ein Beispiel gibt. Sprechen würde die Athletensprecherin nie darüber. „Ich zeige es, und vielleicht denkt sich der ein oder andere, dass das der richtige Weg sein könnte“, sagt sie.

Ihre Kollegin Antje Buschschulte nimmt in Montreal derweil kein Blatt mehr vor den Mund. Die Magdeburgerin hat über 100 Meter Rücken Silber geholt, über 50 Meter Rücken Bronze und ist auch noch überraschend ins Finale über 50 Meter Schmetterling eingezogen, wo sie Fünfte wurde. „Als ich jung war, hatte ich überhaupt keinen Druck“, sagt die 26-Jährige, „ich bin hineingesprungen und einfach geschwommen.“ Dass es manchen an Trainingsfleiß und der richtigen Einstellung mangelt? Die Neurobiologiestudentin Antje Buschschulte kann damit nichts anfangen. „Sie hat einen 24-Stunden-Tag, der sich ganz am Schwimmen ausrichtet“, sagt DSV-Sportdirektor Ralf Beckmann. Die Magdeburgerin sieht die Dinge wohl genau richtig, wenn sie sagt: „Die Erwartungen an den deutschen Schwimmsport können sicher nicht mehr so hoch sein wie noch vor zwei oder vier Jahren.“ Bei den Weltmeisterschaften in Barcelona und Fukuoka hatte der DSV ein echtes Zwischenhoch erlebt. Bei den Olympischen Spielen in Athen und jetzt in Montreal ist es wieder bergab gegangen. Obwohl der Sportdirektor Beckmann betont, dass sich die Deutschen mit Platz vier in der Nationenwertung im WM-Plan befinden.

Woran es liegt? Anne Poleska vermisst bei ihren deutschen Mitathleten etwas, was sie in den USA gelernt hat. „Die Amerikaner gehen mit viel mehr Freude ins Rennen“, sagt sie, „die denken sich: Juhu, jetzt geht’s endlich los!“ Sie selbst ließ sich von ihrem Weg zur WM auch nicht abbringen, als sie bei den deutschen Meisterschaften in Berlin nur durchwachsene Leistungen gezeigt hatte, sich müde und erschöpft fühlte. „Eine ärztliche Untersuchung hat gezeigt, dass ich zu wenig rote Blutkörperchen hatte“, sagt die Krefelderin. In den darauf folgenden Trainingseinheiten zog sie die richtigen Konsequenzen.

Die blonde Anne Poleska ist Vorschwimmerin – und Vorzeigeschwimmerin. Dass sie bisweilen als neue Franzi dargestellt wird, findet die 25-Jährige „lustig“. Mehr nicht. „Es ist doch interessant, zu sehen und zu lesen, welche Wünsche und Hoffnungen geäußert werden“, sagt sie – ganz ohne das Gehabe einer launischen Diva. Es wundert nicht besonders, dass sich Anne Poleska zwar unglaublich über die Silbermedaille von Montreal freute, gleichzeitig aber schon wieder ein Stück voraus dachte. „Dass ich so nahe an den deutschen Rekord herangeschwommen bin, ist eine Riesenmotivation für das nächste Jahr“, sagte sie. Welche wichtigen Wettkämpfe im nächsten Jahr stattfinden? Europameisterschaften. „Nur“ Europameisterschaften.