Humanität in sehr kleinen Dosen

Deutschland nimmt nächste Woche 50 Flüchtlingskinder aus Griechenland auf. Zu wenige, findet die Opposition und spricht von einer „moralischen Bankrotterklärung“

Von Ulrich Schulte

Deutschland will in der kommenden Woche die ersten 50 unbegleiteten Kinder aus Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufnehmen. Das hat das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin entschieden. Die ersten zwei Wochen nach der Einreise werden sie in Corona-Quarantäne in Niedersachsen verbringen. Anschließend sollen sie auf die Bundesländer verteilt werden.

Außer Deutschland ist aufgrund der Corona-Pandemie derzeit nur Luxemburg bereit, junge Migranten aus den überfüllten informellen Lagern zu holen. Das Land will zwölf Kinder aufnehmen. Weitere Staaten, die ursprünglich Hilfe zugesagt hatten, machen den Zeitpunkt der Aufnahme jetzt davon abhängig, dass die Zahl der Corona-Infizierten im jeweils eigenen Land sinkt.

Deutschland will in nächster Zeit laut Innenministerium noch rund 300 weitere Minderjährige aus Griechenland aufnehmen. Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hatte am 8. März beschlossen, mit anderen EU-Staaten 1.000 bis 1.500 Kindern aus Griechenland zu evakuieren. Es handelt sich laut Koalitionsbeschluss um Kinder, die schwer erkrankt und behandlungsbedürftig oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre sind.

Laut Innenministerium haben sich auch Frankreich, Portugal, Irland, Finnland, Kroatien, Litauen, Belgien und Bulgarien bereit erklärt, Kinder und Jugendliche aufzunehmen. „Deutschland hat die klare Erwartungshaltung, dass die Zusage dieser Länder eingehalten wird“, teilte das Ministerium mit.

Dass in dem Flugzeug, das Ende kommender Woche geschickt wird, nur 50 und nicht etwa 70 oder 80 Kinder sitzen sollen, hat auch mit dem komplexen Auswahlverfahren vor Ort zu tun. Deutschland hatte erklärt, vor allem kranke Kinder, Minderjährige im Alter unter 14 Jahren sowie möglichst viele Mädchen aufnehmen zu wollen. In der Mehrheit sind die unbegleiteten Minderjährigen, die auf den Inseln unter erbärmlichen Umständen hausen, aber Jungen. Zudem muss in jedem Einzelfall die Identität geklärt werden. „Es gibt einen Flaschenhals bei der Auswahl der Kinder durch griechische Behörden und Hilfsorganisationen“, sagte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster der taz.

Die Opposition kritisierte die geringe Aufnahmebereitschaft der Regierung – und zwar deutlich. „Dass die Bundesregierung selbst in dieser schweren Krise nur eine Handvoll Kinder in Sicherheit bringen will, erschüttert mich“, schrieb Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt auf Twitter. „Unfassbar und eine politische und moralische Bankrotterklärung der Koalition“, kommentierte Jan Korte, Fraktionsgeschäftsführer der Linken.

Beim UN-Flüchtlingshilfswerk, dem UNHCR, sieht man auch das Positive. „Das ist eine wichtige Entscheidung, auf die wir lange gewartet haben“, sagte Frank Remus, UNHCR-Repräsentant in Deutschland. Luxemburg und Deutschland gäben ein gutes Beispiel für europäischen Zusammenhalt. „Gleichwohl sind es nur 50 Tropfen auf den heißen Stein“, betonte Remus. Die Situation vor Ort sei „absolut unzumutbar“.

Aktuell halten sich rund 39.700 Migranten und Flüchtlinge auf den griechischen Ägäis-Inseln auf. Die dortigen Flüchtlingscamps sind überfüllt, die hygienischen Bedingungen katastrophal. In den vergangenen drei Monaten hatten die Behörden 11.000 Menschen aus den Flüchtlingslagern auf das Festland gebracht – vor allem Kranke und solche, die gute Chancen auf Asyl oder Schutz in der EU haben.