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corona in hamburg„Jetzt Experimente wagen“

Foto: Stahlpress

Dirk Lau, 49, arbeitet für die Pressestelle des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Hamburg.

Interview Anastasia Trenkler

taz: Städte wie Berlin und Bremen nutzen die Ausgangssperre aktuell für den Ausbau von Radspuren. Gibt es solche Entwicklungen auch in Hamburg, Herr Lau?

Dirk Lau: Nein, die Stadt räumt Radfahrenden und Fußgänger:innen auch in Zeiten von Corona nicht mehr Platz ein. Alle Lebensbereiche werden gerade eingeschränkt, aber die SPD-geführte Verkehrsbehörde weigert sich stur, dem – ohnehin abnehmenden – Autoverkehr etwas wegzunehmen.

Welche Chancen bleiben ungenutzt?

Jetzt wäre eigentlich die Zeit, um Dinge auszuprobieren: Hamburg könnte auf fast allen Straßen Tempo 30 anordnen. Dadurch würde es weniger schwere Verkehrsunfälle geben, was wiederum die Krankenhäuser entlastet. Auch gibt es in Hamburg nach wie vor sogenannte Bettelampeln. Da müssen Radfahrende und Fußgänger:innen erst durch Tastendruck Grün für sich anfordern und dann häufig sehr lange warten, während der parallel fahrende Autoverkehr Grün hat. Das ist völlig unzeitgemäß, die Stadt muss diese Bettelampeln abschalten.

Hamburger:innen müssen aktuell 1,5 Meter Abstand voneinander halten. Ist das im Radverkehr überhaupt möglich?

Wie kann ich auf den oft nur ein bis zwei Meter breiten Radwegen 1,5 Meter Abstand halten? Absurd. Wenn die Stadt es wirklich ernst meint mit der Abstandsregelung, dann muss sie Fußgänger:innen und Radfahrenden mehr Platz auf der Straße geben. Am Sonntag war die ganze Elbchaussee voller Menschen. Zusätzliche abgetrennte Radspuren, sogenannte Pop-Up-Bikelanes, bieten sich dort und anderswo an. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, um so innovativ und schnell die Attraktivität und Sicherheit des Radfahrens zu erhöhen.

Und was würde mit solchen Experimenten passieren, wenn die Ausgangsbeschränkungen wieder aufgehoben werden?

Ich glaube, dass sich solche Maßnahmen bewähren würden und viele Menschen sich wünschen, sie zu verstetigen. Auch der Wirtschaftsverkehr und die Wirtschaft selbst profitieren davon, wenn mehr Menschen vom Auto auf Bus, Bahn und Rad umsteigen. Doch die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde hält an ihren veralteten Mobilitätskonzepten fest. Warum aber nicht etwas wagen, wenn jetzt eh weniger Autos durch Hamburg fahren?

Zusätzlich gibt es sehr viel weniger Staus.

Das ist trotz allem eine positive Entwicklung: Hamburg erholt sich, die Stadt atmet etwas auf. Weniger Autos bedeuten theoretisch mehr Platz für Radfahrende und Fußgänger:innen. Immer mehr Menschen steigen aufs Rad um und entlasten so auch die öffentlichen Verkehrsmittel – wo es so einfacher wird, die Abstandsregelungen einzuhalten. Vor allem die Luftqualität hat sich dank weniger Autos und Staus verbessert – das ist gut für die Gesundheit aller.

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