Aus John Wayne wird John Ford

Hippen empfiehlt: Im Kino 46 läuft in diesem Monat eine Werkschau des Regisseurs Clint Eastwood, bei der die beachtliche Bandbreite seiner Filme deutlich wird

Eastwood überrascht regelmäßig mit Filmen, die so atypisch für Hollywood sind, dass man von ihm nur noch das Unerwartete erwarten kann

Von Wilfried Hippen

Stellen Sie sich vor, John Wayne hätte nicht nur den Westernhelden gespielt, sondern ihn auch inszeniert. Ja, der ewigen Cowboy mit dem peinlichen Geburtsnamen Marion Michael Morrison hat tatsächlich bei ein paar schlimmen Machwerken wie „Green Berets“ Regie geführt, aber das lässt den Unterschied zu Clint Eastwood nur noch deutlicher hervortreten.

Denn dieser hat sich in seinen Filmen immer am eigenen Heldenimage abgearbeitet und es hinterfragt. So hat er eine Entwicklung durchlaufen, die auf den Western begrenzt der von John Ford nahe kommt – aber dann ist er noch weitergegangen und hat das Genre weit hinter sich gelassen. Dabei deutete zum Beginn seiner Karriere nichts darauf hin, dass er sich als einer der fruchtbarsten und interessantesten Filmemacher Hollywoods entpuppen würde. Nach einer Rolle als Cowboy in der Fernsehserie Rawhide (von der am 27. des Monats eine Folge im Kino 46 gezeigt wird) schien er als Schauspieler in den USA schon ausgedient zu haben. Aber dann entdeckte ihn der Italiener Sergio Leone, der dafür diese schöne Formulierung fand: „Michelangelo sah den Fels und erkannte darin den Menschen, ich sah Clint und erkannte darin den Fels.“

Als der einsilbige Revolverheld wurde Eastwood zur Ikone des Spaghetti-Westerns und kehrte als Star nach Hollywood zurück, wo Don Siegel ihn in einer Reihe von sehr erfolgreichen Filmen in „Dirty Harry“ umbastelte. Aber Eastwood, dessen Schlüsselaussage in vielen Interviews übrigens „No, that would be boring“ ist, begann sich offensichtlich vor der Kamera in den immer gleichen Rollen zu langweilen, und so begann er an beiden Fronten zu arbeiteten.

Einerseits wurde er selbst zuerst Produzent und dann Regisseur – andererseits begann er, den Mythos, den er verkörperte, zu hinterfragen. So ist der 1976 gedrehte „Der Texaner“ (dessen Archivkopie am Samstag Abend gezeigt wird) zwar schon seine fünfte Regiearbeit, gilt aber als der Film, in dem er sein Thema und seinen Stil findet. Der Titelheld ist zuerst einer von jenen typischen maulfaulen Westernhelden, die Eastwood inzwischen im Schlaf spielen konnte (und irgendwie ja wohl auch musste). Aber dem einsamen Helden wird plötzlich eine Familie aufgehalst, komplett mit Hund, Großmutter und einem alten Indianer, der alles besser weiß. Wie sich die Figur dadurch zwangsläufig verändert, zeigt Eastwood sowohl in der Darstellung wie auch in der Inszenierung so komplex, ironisch und zugleich extrem unterhaltsam, dass „The Outlaw Josey Wales“ (so der Originaltitel) heute immer noch frisch funkelt.

Seitdem überrascht Eastwood regelmäßig mit Filmen, die so atypisch für ihn und für Hollywood sind, dass man inzwischen von ihm nur noch das Unerwartete erwarten kann. „It would be boring“, Erfolgsrezepte oder Fortsetzungen zu machen, und so drehte Eastwood 1988 mit „Bird“ ein beeindruckendes Biopic über den Jazzmusiker Charlie Parker, 1990 mit „White Hunter, Black Heart“ eine Charakterstudie von John Huston während der Drehabreiten von „African Queen“ und 1995 mit „The Bridges of Madison County“ (der am 23. und 24. 10. gezeigt wird) die wohl größte Überraschung, nämlich eine besinnliche Romanze für ein weibliches Zielpublikum, einen sogenannten „weepie“.

Dass diese den Studios schwer zu verkaufenden Filme überhaupt gemacht wurden, zeugt von der Stellung Eastwoods in Hollywood. Aber er war auch immer geschickt genug, reine Genreproduktionen wie „Absolute Power“ oder „True Crime“ zwischen seine Experimentalfilme zu streuen, und schmerzhafte Flops wie „Midnight in the Garden of Good and Evil“ sind bei ihm extrem selten.

Statt dessen räumte er mit „Million Dollar Baby“ (29. 10. und 31. 1.) vier Oscars ab, und machte dann mit „Flags of our Fathers“ und „Letters from Iwo Jima“ (beiden am 1. 11. und 3. 11.) ein Doppel, mit dem er aus der amerikanischen und der japanischen Perspektive von der Schlacht im 2. Weltkrieg erzählt. Als Schauspieler hat sich der 79-Jährige mit einer endgültigen Geste vom Film verabschiedet, indem er in „Gran Torino“ seine „Dirty Harry“-Figur Frieden mit sich und der Welt finden lässt. Aber als Regisseur bastelt er schon an seinem nächsten Werk, einer Filmbiografie von Nelson Mandela.