: Stille Straßen, überfüllte Spitäler
Emmanuel Geebelen ist in Wuhan geblieben. Er ist der letzte Schweizer in der chinesischen MillionenmetropoleWuhan, in der die Coronaepidemie ihren Anfang nahm. Eindrücke über den Alltag in dem Epizentrum
Aus Peking Fabian Kretschmer
Seit vor einer Woche ein zweiter Evakuierungsflug aus Wuhan abhob, ist Emmanuel Geebelen der letzte Schweizer in der 11 Millionen Metropole. Der 42-Jährige lebt in einem 24-stöckigen Apartmentturm. Doch wenn er morgens das Fenster öffnet, dann schallen weder Autolärm noch Stimmengewirr in die Wohnung. Die einzigen Menschen, die der Genfer vereinzelt ausmachen kann, sind Reinigungskräfte in Ganzkörperschutzanzügen, die Desinfektionsmittel versprühen. „Man sieht derzeit China, wie man es noch nie gesehen hat“, sagt Geebelen am Telefon und lacht ausgelassen.
Dabei befindet sich seine zweite Wahlheimat derzeit im Ausnahmezustand. In Wuhan, dem Epizentrum des Virus, und der umliegenden Provinz Hubei haben sich laut Angaben der chinesischen Gesundheitskommission rund 80.000 Menschen angesteckt. Mehr als 2.700 sind an dem Erreger bislang verstorben. Die allermeisten Fälle kamen aus der Provinz Hubei. Über Wochen hinweg wurden Horrorvideos über Leichensäcke in überfüllten Krankenhäusern in Wuhan, abgewiesene Patienten und ausgeräumte Supermarktregale weltweit in den Abendnachrichten der Fernsehstationen ausgestrahlt. Für viele mag es angesichts der wohl schwerwiegendsten Gesundheitskrise in der Geschichte der Volksrepublik China absurd erscheinen, wie jemand die Chance zum Heimatflug in die Schweiz ablehnen würde.
„China ist unser Zuhause, für uns gibt es keinen Grund fortzuziehen“, sagt Geebelein, der mit seiner chinesische Frau Connie zwei kleine Kindern hat.
Geradezu stoisch analysiert er die Situation der jungen Familie: „Das Virus wird uns nicht erreichen. Ich bin der Einzige von uns, der das Haus verlassen hat, um einzukaufen – natürlich mit den nötigen Vorsichtsmaßnahmen“, sagt er. Genau sechsmal sei der gelernte Uhrenmacher in den letzten 23 Tagen vor die Tür gegangen.
Doch mittlerweile ist auch das nicht mehr möglich, die Stadtregierung hat eine vollständige Ausgangssperre verhängt. Seither organisieren sich die Anwohner in Gruppenchats, um Vorratskäufe zu verabreden. Fahrer mit Regierungslizenzen bringen die Lebensmittel 48 Stunden später zu den verschlossenen Toren der Wohnsiedlung. „Besorgt sind wir nicht, aber der Alltag ist langweilig“, sagt Geebelein, der nach wie vor eine strikte Alltagsroutine einhält: Um 5.30 Uhr wacht der Westschweizer auf, bevor er sich an das Frühstück für die Kinder macht. Anschließend werden online die Nachrichten gecheckt: Wie viele neue Infizierte wurden von den Behörden bestätigt? Und: Haben sich die Quarantänebestimmungen verändert?
Schwer bis unmöglich vorzustellen, dass ähnliche Maßnahmen auch in Deutschland getroffen werden könnten. Und noch schwerer vorzustellen, dass diese auch befolgt würden. Ende Januar hat die Stadtregierung Wuhan erstmals den Flug-, Zug- und Busverkehr aus Wuhan eingestellt. Wenig später wurden auch die Zufahrtsstraßen blockiert. Dann legten die Behörden zusätzlich die U-Bahnen und Busse still, schlussendlich wurden auch private Autofahrten verboten. „Die Chinesen sind ruhig und stoisch. Die haben einen Gemeinschaftssinn, die Gesellschaft kommt vor das Individuum“, sagt Geebelein.
Finanziell bekommt die Krise auch die chinesisch-schweizerische Familie Geebelein in Wuhan zu spüren. Während sich Emmanuel um die Kinder kümmert, stammt das einzige Einkommen der Familie von seiner Frau Connie, die als Leiterin eines Kindergartens arbeitet. Seit dem Virusausbruch wurden die Kitas jedoch als Erstes geschlossen, wahrscheinlich werden sie auch als Letztes wieder geöffnet. Connie Geebeleins Chef hat bereits darum gebeten, ihr Gehalt zu kürzen, möglicherweise ganz zu streichen. „Sobald die Quarantänebestimmungen aufgehoben werden, müssen wir innerhalb Chinas umzuziehen und eine neue Existenz gründen“, sagt der Schweizer: „Bis Mai können wir ausharren. Aber wenn die Quarantäne bis Juni oder Juli andauert, dann wird es finanziell ernst.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen