: Wenn sich die Klarinette empört
Alles ist Metapher: Eine minimalistische Inszenierung von „jedermann (stirbt)“ nach Ferdinand Schmalz feierte am Sonntag in der Regie des Georgiers Data Tavadze Premiere am Deutschen Theater
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Von Katja Kollmann
Jörg Pose sitzt am Bühnenrand. Regungslos. Die Arme ziehen ihn buchstäblich in den Boden hinein. Achtzig Spielminuten später sitzt er wieder. Jetzt in der Bühnenmitte. Die Beine sind ausgestreckt, die Schultern nach vorne gebeugt, wartet er als Jedermann auf den Tod. Er hat gefragt: „Wie geht das, Sterben?“ Und sitzt jetzt da, als würde er begreifen, was es heißt, „den Tod als Wunder zu verstehen“. Sitzt, als wäre dies schon nicht mehr seine Welt, sondern eine andere. Und hört nicht mehr, was Natalie Seeligs Buhlschaft Tod ihm über den Totentanz Leben erzählt. Ist Körper mehr, als Mensch. Schon jetzt. Während hinter ihm rote Leuchtbuchstaben wiederholen: „Jedermann = Niemand“.
Auftrag zur Überschreibung
Jörg Pose ist Ferdinand Schmalz’ Jedermann. Der österreichische Autor wurde vom Wiener Burgtheater beauftragt, Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel aus dem Jahr 1911, das seit genau hundert Jahren jeden Sommer in Salzburg aufgeführt wird, zu überschreiben. Seit der Uraufführung 2018 ist „jedermann (stirbt)“ auf den österreichischen Bühnen fleißig nachgespielt worden. Ende Januar 2020 fand die deutsche Erstaufführung am Schauspiel Frankfurt statt, am Sonntag war Berliner Premiere. Am Deutschen Theater inszeniert der georgische Regisseur Data Tavadze den Börsenmakler Jedermann. Es ist seine erste Arbeit an diesem Haus, nachdem der Leiter des Tifliser Royal District Theater in den letzten Jahren im Rahmen des Festivals Radar Ost schon mit zwei beeindruckenden Inszenierungen zu Gast war.
Was er als Handschrift in „Women of Troy“ und „Prometheus – 25 Years of Independence“ gezeigt hat, wendet er auch hier an: unbedingte Konzentration auf den Text. Folgerichtig besteht das Bühnenbild (Jana Valjarević) neben der Leuchtschrift an der Hinterbühnenwand nur aus vier Standmikrofonen und einem Handwagen mit zwei großen Plastikpflanzen. Und den Musikern. Darüber hängt dann aber doch, als wäre es gerade erst nach oben gezogen worden, ein Eingangsportal mit vier tuskischen Säulen. Die fast leere Bühne der Kammerspiele wirkt so entblößt. Die fünf Schauspieler:Innen agieren in einem Raum, dem die dünne Schicht der Zivilisation buchstäblich entzogen worden ist. Kontrabass, Posaune und Klarinette (Musik: Nika Pasuri) laden den Raum mit Unruhe auf.
Schmalz verortet seinen Jedermann explizit in Wien. Lässt ihn aber sagen: „Kein Fest ohne Festung.“ Denn alles ist Metapher: Der herrschaftliche Garten. Die Party und die „(teuflisch) gute Gesellschaft“ dort. Und Krieg und Tod draußen. Dazwischen die Mauer. Und trotzdem kommt der Tod rein. Als Gast. Und sagt: „Jetzt wird gestorben.“ Eine Stunde bleibt dem Finanzmakler noch zum Leben. So lässt er über die Gottähnlichkeit des Geldes dozieren und erklärt seinen Politiker-Vettern (Paul Grill, Niklas Wetzel) den Umgang mit Gläubigern im Verzug. Es ist, als sei er Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ entsprungen. Pose steht da im grauen Anzug, sein Timbre gibt der Figur Tiefe. Als er in einen Leichensack gesteckt wird, wehrt er sich. Das ist das Äußerste an Bewegung, was Data Tavadze auf der Bühne zulässt. Dann erst kommt die erste Veränderung, ein Schwächeanfall, der Jedermann auf sich selbst zurückwirft. Schmalz belässt das Allegorische der Figuren, vereint aber Tod und Buhlschaft.
Natalie Seelig hat drei Rollen: Buhlschaft Tod, Mammon und Gute Werke. Als versierte Ferdinand-Schmalz-Interpretin findet sie für seine von schwarzem Humor und hintergründigen Wortspielen durchsetzte Kunstsprache die richtige Dosis an Ironie, um sie wirken zu lassen. Sarkastisch entlarvt sie Charity als Steuersparmodell und flüstert dann Samuel Dunscombe, der mit seiner Klarinette am Boden liegt, zu, in welche Steueroasen Jedermann sein Vermögen ausgelagert hat.
Starker Text
Die Klarinette empört sich und Seelig hält Dunscombe den Mund zu. Tavadze ist sparsam mit solch verspielten Regieeinfällen. Er fordert von den SchauspielerInnen ein strenges, stringentes Spiel und einen sehr genauen Umgang mit Schmalz’ Sprache. Im Kontext des auf ein Minimum reduzierten Bühnenbildes, der inhaltlichen sowie formalen Dichte des dramatischen Textes ist es keine leicht konsumierbare Inszenierung. Man ist gefordert als ZuschauerIn. Die Belohnung: Dieser starke Text, der nominiert ist für den Nachspielpreis des Heidelberger Stückemarktes, leuchtet, weil nichts ablenkt. Ob „Im Angesicht des Todes ein Umdenken beginnt im Menschen drin“, bleibt offen. Was klar ist: „Dass einer hier geopfert wird, um unsere Gemeinschaft reinzuwaschen.“
wieder am 7. 3., 28. 3., 3. 4. und 13. 4.
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