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Der ewig Überzählige

Am Schauspielhaus in Hamburg inszeniert Viktor Bodo Kafkas „Das Schloss“ als Klamotte und turbulentes Spektakel. Im Protagonisten K. sieht er einen Geflüchteten, der sich zum Widerständler entwickelt. Zu viele Ideen aber verdichten sich nicht

Von Jens Fischer

Wer kennt ihn nicht, diesen Lieferanten von Komödienstoffen: Franz Kafka. Jedenfalls sieht ihn Viktor Bodo so. Den unvollendeten Roman „Das Schloss“ rüstet er am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zu einem ebenso opulenten wie turbulenten Bühnenspektakel her. Bodo bietet Showtanzeinlagen, Kletterakrobatik, Slapstick-Clownerie, surreale Lichttricks und geradezu dadaistisch sich verselbständigende Regiegags. Er zitiert auch den expressionistischen Film der Weimarer Republik, Horror- und Action-Kino. Und das fabelhafte Ensemble entwickelt sichtbare Spielfreude inmitten all des Effektreichtums.

Dabei sind die Darsteller autoritätshörige Kreaturen und sorgen mit der Körpersprache des Stummfilms klamaukig bis klamottig für typenprallen Spaß. Klar, Kafkas Text hat obskure Momente und unterschwellige Komik. Aber Bodos ausgelassene Lustigkeiten sind von ganz anderem Kaliber. Sicherlich ein ungewöhnlicher Ansatz, mal gegen das Klischee zu inszenieren, dass der von einem Bürojob gepeinigte Prager Freigeist ums finanzielle und geistige Überleben in einer kleingeistigen Gesellschaft kämpfte und mit seinem Roman ein Daseinsgefühl ausdrücken wollte, das zeitlos modern zu sein scheint.

Beschreibt „Das Schloss“ doch diffuse Erfahrungen der Angst, Unsicherheit, Entfremdung und des Ausgeliefertseins an ano­nyme, allgegenwärtige, scheinbar willkürlich handelnde Kräfte oder Mächte und ihre alptraumhafte Bürokratie – sowie das ausweglose Scheitern an Situationen, in denen man nicht antizipieren, nur fürchten kann, was passiert: die Konfrontation mit Gewalt, Absurdität, Ausweg- oder Sinnlosigkeit.

Bodo liefert eine Materialschlacht. Knarzender Maschinenlärm, feuerwerkende Schweißarbeiten, wildes Gehämmer, Arbeitergewusel, Nebel. Eine Großbaustelle als Labyrinth aus Stahltreppen hat Zita Schnábel auf die Bühne gebaut. Zum Mondaufgang kehrt etwas Feierabend-Ruhe ein, die von raunenden Klängen des live musizierenden Jazzquartetts durchweht werden, das fortan mit Stummfilm-typischen Akzentuierungen aufwartet.

Es klingt tatsächlich ein bisschen nervenzerrend, wenn der Protagonist K. (Carlo Ljubek) von Bauaufsehern der Bühne verwiesen wird. Er wollte doch nur ein wenig schlummern vor seinem Dienstantritt als Landvermesser. „Betreten verboten“ stehe doch da, wird er aber angeschnauzt. Schilder sind in diesem gruselulkigem, manisch durchorganisierten Land gottgegebene Gesetze wie all die anderen minutiös befolgten Gebote, Anweisungen und Vorschriften, die sich die Bewohner des Schlosses ausgedacht haben, zu denen aber niemand vordringt. Nur juristisch schwadronierende Abgesandte künden mal von ihrer Existenz.

K. versucht aber alles, um durch die verworrenen Hierarchien und intransparenten Amtswege zu gelangen, will er doch Näheres zu seinem Arbeitsauftrag erfahren. Schickt Botschaften, stellt Anträge, telefoniert, fragt hier und dort nach. Zermürbend. Auch weil seine Gehilfen nicht helfen und ein endlich mal redebereiter Vorsteher (Michael Weber) im Morphiumrausch nur Akteneinträge hübsch verwirrend memoriert.

Auch scheitert der Versuch, sich mit der Ex-Geliebten des Oberbeamten Klamm Zugang zu den Entscheidungsträgern zu verschaffen. K. versperren sich immer aufs Neue die Türen und Wege. Zwar wird er zum Projektionsobjekt der sexuellen Begierden des weiblichen Personals, bleibt aber fremd unter all den lemurenhaften Wesen, die sich in ihren Privathöhlen verkriechen. Der ewig Überzählige ist K., ein Außenseiter mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus.

Viktor Bodo liefert eine Materialschlacht: Knarzender Maschinenlärm, feuerwerkende Schweißarbeiten, wildes Gehämmer, Arbeitergewusel, Nebel

Bodo kokettiert durchaus mit dieser Interpretation: K. als Geflüchteter, der einen Platz und Akzeptanz in der Gesellschaft ersehnt, aber an der Fremdenfeindlichkeit scheitert. Ein mit Latten bewaffneter Dörfler-Mob brüllt „hau ab“ und verprügelt ihn schließlich. Zum ständigen Abgewiesenwerden passt, wie K. sich vom netten, freundlichen, zurückhaltenden Neuankömmling zum zunehmend genervten, empörten Widerständler entwickelt. Aber diese szenisch realisierte Assoziation bleibt im Ansatz stecken und jede weitere Möglichkeit der Text-Ausdeutung ungenutzt. Zu Kafka könne sich jeder seinen eigenen Reim machen, mag das heißen. Aber dann hätte auch die Jagd auf den Ausländer nicht so deutlich aktuell fokussiert werden müssen.

So sympathisch Carlo Ljubek seine Rolle gestaltet, so wenig lädt das komödiantische Drumherum zum Mitleiden ein. Es unterhält bestens, wirkt aber nirgendwo gefährlich – vermittelt nicht den Horror sogenannter struktureller Gewalt. Verspielt doch seinen Platz in der Gemeinschaft, wer sich dem Regelwerk der Schloss-Herrschaft auch nur ansatzweise verweigert. Bodo macht um solch tiefergehende Dimensionen einen Bogen. Erstmals wirkt sogar Lina Beckmanns Komik äußerlich, wie ein reproduziertes Zitat ihrer eigenwilligen kauzigen Darstellungskunst.

Die Produktion zerfällt in den pausenlosen zwei Aufführungsstunden in viele Ideen, die nicht verdichten, sondern Inhalte ins heiter Ungefähre distanzieren. Auch wenn das Ende überzeugt: Auftritt des Sicherheitschefs Erlanger in einer Max-Brod-ähnlichen Aufmachung, 1926 Herausgeber des Romans und 1953 der erste, der ihn dramatisiert hat. In Hamburg diskutiert er nun mit K. die Varianten, das Stück zu beenden. Erschien in der Brod-Fassung ein Bote zu K.s Grab mit der Einladung, aufs Schloss zu kommen, wird ihm in Hamburg nun ein Schlüssel überreicht, der in eines der unzählig um ihn herum baumelnden Schlösser passen soll, aber wohl nicht zum Schloss, dem Machtzentrum. Völlig überfordert gibt sich K. dem Schlummer hin, in den sich der Zuschauerjubel hineinblendet.

Dies könnte ein Publikumshit werden. Theater ist Theater ist Theater. Dreht sich virtuos um sich selbst.

„Das Schloss“: Fr, 6. 3., 20 Uhr, Hamburg, Schauspielhaus; weitere Aufführungen: 21. 3., 29. 3., 23. 4.. 29. 4.

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