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Brüder und Schwestern, Arbeit und Feste

Im Jüdischen Museum ist die Ausstellung „This Place“ zu sehen, für die zwölf internationale, teils berühmte FotokünstlerInnen über mehrere Jahre in Israel und im Westjordanland gearbeitet haben

Von Katharina Granzin

Es ist, als seien sie festge­fro­ren in ihren Posen. Der französische Fotograf Frédé­ric Brenner hat Menschengruppen in Israel fotografiert: eine orthodoxe Großfamilie an langem Esstisch, eine weltliche Familie in Freizeitkleidung am Strand, drei schwarz gewandete Ultraorthodoxe im modernen Ambiente des Flughafens Ben Gurion. Alle sind sie frontal der Kamera zugewandt und starren so stoisch und intensiv ins Objektiv, als hätten sie den ganzen Tag nichts anderes mehr vor. Die extreme Tiefenschärfe und farbige Brillanz verstärken die hyperrealistische Anmutung der statua­rischen Gruppenporträts. Ganz anders Brenners Einzelporträts, die individuelle Verletzlichkeit zeigen: Eine junge Soldatin, allein im Wald sitzend, sieht mit melancholisch verhangenem Blick knapp an der Kamera vorbei. Veteranen mit unterschiedlich farbigen Armprothesen gucken düster vor sich hin.

Brenners Arbeiten stehen am Beginn einer Ausstellung, die auf seine eigene Initiative zurückgeht. Das internationale Großprojekt, das sich über mehrere Jahre entwickelte, wurde gänzlich ohne öffentliche Gelder realisiert. Der Fotograf hatte die Idee, Israel und die besetzten Gebiete auf eine Weise bildlich erfassen zu lassen, die sich bewusst entfernen sollte von den über die Medien vermittelten, stets auch politisierten Bildern. Er gewann viele SponsorInnen für sein Projekt und elf weitere FotografInnen zur Mitarbeit, allesamt internationale Stars ihrer Zunft. Israelische und palästinensische KünstlerInnen wurden bewusst nicht beteiligt; es sollte beim Blick von außen bleiben. Fotografiert wurde in Israel und im Westjordanland, nicht aber im Gazastreifen. Nach teilweise langjährigen Arbeiten und Recherchen wurde „This Place“ 2014 erstmals in Prag gezeigt, es folgten Stationen in den USA und in Tel Aviv. Zur Berliner Ausstellung im Jüdischen Museum ist ein umfangreicher Katalog neu erschienen (Hatje Cantz Verlag, 280 Seiten, 48 Euro).

Aus den zwölffach unterschiedlichen Fotografierkonzepten setzt sich ein Gesamtbild zusammen, das sich in der Tat oft recht weit entfernt vom medial verbreiteten Israelbild. Die meisten der beteiligten KünstlerInnen waren, wie sie in Videointerviews erzählen, nie zuvor in Israel gewesen. Eine große Spannung habe sie gespürt, sagt die Koreanerin Jungjin Lee, eine Grundstimmung, die sich auch auf sie selbst übertragen habe, verstärkt noch dadurch, dass sie mit einem Auftrag ins Land geschickt worden war und anders als sonst gezielt nach Bildern suchen musste. Diese Aussage bildet einen bemerkenswerten Kontrast zu den großformatigen Schwarz-Weiß-Bildern, die Lee aus ihrem Israel-Aufenthalt generiert hat und die gleichsam zu schweben scheinen.

Es sind meditative Landschaftsaufnahmen mit nur wenigen Bildelementen, die zeitlose Ruhe und einfache Schönheit ausstrahlen. Denn unter anderem handelt diese Ausstellung auch davon, wie KünstlerInnen auch in einer fremden Umgebung ihr eigenes Ding machen. Thomas Struth fotografiert Häuser, Technik und Landschaften und nimmt dabei auch touristische Motive ins Bild, nur eben viel besser als wir anderen. Der Tscheche Josef Koudelka, einst berühmt geworden mit seinen Fotos vom Einmarsch in Prag 1968, hat in expressivem Schwarz-Weiß eine eindrucksvolle Serie von der umstrittenen Mauer gemacht (als Buch erschienen unter dem Titel „The Wall“), mit der Israel sich vor Terrorgruppen aus dem Westjordanland schützen will.

Der Fotograf hatte die Idee, Israel und die besetzten Gebiete auf eine Weise bildlich erfassen zu lassen, die sich entfernen sollte von den medialen, politisierten Bildern

Der Slowake Martin Kollar pflegt einen geschärften Blick für das krumme Element im Gewöhnlichen und bringt mit seinen surrealistischen Stillleben und Bildanordnungen (als Einziger) ein dezent komisches Element ein. Jeff Wall wiederum, berühmt für seine großformatigen Tableaus, ist auch in dieser Ausstellung der mit dem größten Bild. Zwei Wochen lang, so ist daneben zu lesen, seien er und sein Team jeden Tag im Morgengrauen aufgestanden, um im Wüstensand schlafende Erntehelfer im Licht des Sonnenaufgangs zu fotografieren. Eine Mühe, die sich gelohnt hat. Die größte Wandfläche allerdings füllt Fazal Sheikh, der Bilder aus der Luft gemacht hat. Bei Flügen über die Wüste Negev fotografierte er Spuren menschlicher Kultur und Unkultur, Strukturen einstiger Beduinendörfer, Reste militärischer Anlagen oder vernichteter Wälder. Das Ergebnis, in zahlreichen abstrakt wirkenden Einzelbildern zu einer großen Installation gehängt, ist von irritierender Schönheit.

Das ultimative Gegengewicht zu den ästhetischen Einzelprojekten ihrer KollegInnen schließlich bildet die Arbeit von Wendy Ewald, die eher Konzeptkünstlerin als Fotografin ist. Alle Bilder, die sie zeigt, haben andere gemacht: Für „This Place“ ist Ewald über Jahre hinweg immer wieder nach Israel und ins Westjordanland gereist und hat andere fotografieren lassen, Schulkinder, SoldatInnen, Gemeindeälteste, HändlerInnen. In vierzehn mehrstöckigen Bilderregalen sind sie ausgestellt, als eine große Wimmelcollage: Bilder aus dem echten Leben, von Menschen und Tieren, Brüdern und Schwestern, Arbeit und Festen – und nicht zuletzt immer wieder vom Essen. Sind vor einem Teller Hummus nicht alle gleich?

Bis 19. 4. im Jüdischen Museum, täglich 10-20 Uhr

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