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Archiv-Artikel

Zu wenig leere Stellen für Lehrlinge

Der Streit um die Auszubildenden geht weiter. Gewerkschaftsbund fordert von Industrie- und Handelsboss Braun, die „Verunsicherungsdiskussion“ zu beenden. Nur ein Viertel der Betriebe bildet überhaupt noch aus. 170.000 ohne Lehrstelle

AUS BERLIN SARAH MERSCH

Industrie- und Handelspräsident Ludwig Georg Braun hat kalte Füße bekommen. Am Wochenende noch hatte Braun ein allgemeines Absenken der Lehrlingslöhne auf eine Basis von 270 Euro gefordert, nun hat er plötzlich gute Nachrichten. Seine Industrie- und Handwerkskammern (DIHK) meldeten gestern, die diesjährige Ausbildungsstatistik sei besser als die aus 2004. Die Zahl der Verträge habe sich um 1,4 Prozent auf 205.000 erhöht. Kein Bedarf also mehr für Lohnschnitte um bis zu 80 Prozent?

Den Gewerkschaften war das egal. Sie sind stinksauer auf Braun. „Wir müssen die Verunsicherungsdiskussion über die Ausbildungsvergütung endlich beenden“, sagte Volker Scharlowsky der taz. Der Abteilungsleiter des Bereichs Bildung im DGB sieht die Probleme nicht etwa beim Lehrlingsgehalt, das zwischen 200 Euro (FriseurInnen) und 1.134 Euro (Binnenschiffer) liegt. Schuld seien die Betriebe, die nur noch zu einem Viertel Lehrlinge ausbildeten, kritisierte Scharlowsky. Die Unternehmen stünden in der Pflicht, die aktuelle Situation zu entschärfen – nicht die Lehrlinge.

Trotz des im letzten Jahr geschlossenen Ausbildungspaktes sind dieses Jahr noch rund 170.000 Schulabgänger ohne Lehrstelle. Die deutsche Wirtschaft hatte zugesagt, jährlich 30.000 neue Lehrstellen zu schaffen. Im vergangenen Jahr waren es jedoch nur 22.000 Ausbildungsplätze, die zusätzlich auf den Markt kamen. Viel zu wenig für die Bewerberzahlen.

Hinzu kommen noch mehrere tausend Altbewerber, die bereits im vergangen Jahr leer ausgingen. Deren Situation „verschärft sich von Tag zu Tag“, warnte DGB-Vorstandsmitglied Ingrid Sehrbrock.

Über die Ursachen des Lehrstellenmangels gibt es unterschiedliche Ansichten. DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun verwies darauf, dass die gezahlten Ausbildungsvergütungen für viele Betriebe zu hoch seien, so dass sie finanziell nicht in der Lage seien, Lehrlinge auszubilden. Er forderte daher eine Basisvergütung für Azubis in Höhe von 270 Euro.

Der DGB hält diese Forderung für realitätsfern. „Auch das Handwerk hat kein Interesse daran. Die Unternehmen wissen, dass die Wertschöpfung durch die Auszubildenden auch entsprechend vergütet werden muss“, erklärte Scharlowsky. Die aktuelle Debatte hält er für kontraproduktiv, da sie sowohl die ausbildenden Unternehmen als auch die angehenden Azubis verunsichere. „Wir brauchen eine gesetzliche Lösung“, forderte Scharlowsky. Die von den Gewerkschaften seit langem geforderte Ausbildungsplatzumlage sei die beste Möglichkeit, langfristig genügend Ausbildungsplätze sicherzustellen.

Sollte sich die Situation in den kommenden Wochen nicht verbessern, müsste man auf Notmaßnahmen wie zum Beispiel staatliche Zuschüsse zurückgreifen. „Langfristig kann dies natürlich keine Lösung sein“, betonte er jedoch.

Verhalten optimistisch äußerte sich gestern der Sprecher des Bildungsministeriums, Florian Frank. Er erwarte, dass sich die Lage in den nächsten Wochen deutlich entspannen werde und viele Jugendliche noch eine Ausbildungsstelle finden. In vielen Bereichen seien bereits zusätzliche Plätze geschaffen worden. Außerdem „müssen wir darauf bauen, dass die Wirtschaft ihrer Verantwortung gerecht wird“.

Auch die Unternehmen bräuchten langfristig gut ausgebildete junge Leute, so Frank. „Sonst stehen sie angesichts des demografischen Wandels in ein paar Jahren vor einem großen Problem.“ Denn langfristig sei in Deutschland mit einem Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften zu rechnen.