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„Manchen too much“

Eine Britin und ein Neuseeländer betreiben in einem Dorf bei Erkner eine Gaststätte mit ausschließlich veganen Gerichten. Sie sind überrascht, wie gut ihr Gasthof ankommt

Von Julia Schoon

Schnitzel mit Bratkartoffeln und als Beilage ein Krautsalat. Das Gericht, das uns im Gasthof Falkenhorst serviert wird, könnte so auch in einer x-beliebigen Landgaststätte aus der Küche kommen. Das Schnitzel sieht in seiner goldbraunen Panade aus wie ein Schnitzel eben aussieht, mit dem kleinen Unterschied, dass es nicht als tellerfüllender Fladen daherkommt. Die Kartoffeln kross gebraten und üppig portioniert. Auch der Beilagensalat aus Weißkohl und Möhren: völlig unauffällig.

Und genau das ist das Ungewöhnliche daran. Denn dies ist nur auf den ersten Blick ein Gasthof, wie es sie zu hunderten in Deutschlands Dörfern gibt: zweigeschossiges Eckhaus, leicht angegraute Fassade, die Speisekarte in einem Glaskasten neben dem Eingang, der Name auf dem Schild darüber in altdeutscher Schrift, davor ein kleiner Biergarten unter ausladenden Kastanien. Nichts deutet darauf hin, dass dies Brandenburgs erstes ausschließlich veganes Restaurant ist. Noch ungewöhnlicher wird es durch die Tatsache, dass wir uns nicht etwa in Potsdam befinden oder in einer der Speckgürtelstädte mit direkter S-Bahn-Anbindung an die Hauptstadt, sondern in Burig, einem winzigen Dorf südöstlich von Berlin mit gerade mal 220 Einwohnern, dessen Straßen sich an einer Hand abzählen lassen. Wie wir darauf kamen? Freunde von uns sind kürzlich aus Berlin in den Nachbarort gezogen und haben uns vom „wirklich tollen Essen“ des Gasthofes erzählt.

Wir fahren mit dem Auto nach Burig, denn wir wollen danach direkt weiter, zum Campen in die Märkische Schweiz. Anderthalb Stunden brauchen wir ab Kreuzberg, und nur das letzte Stück versöhnt mich mit der Fahrerei: Ab Grünau führt die Straße durch den Wald, überquert bei Schmöckwitz die Dahme, der Verkehr nimmt merklich ab, unsere Vorfreude zu, und als wir nach Burig hineinfahren, vorbei an Einfamilienhäusern, die sich mit kleinen Gärten umgeben, spüre ich unverhofft so etwas wie Ferienstimmung. Ein Mädchen mit Pony klappert uns auf der sonnigen Hauptstraße entgegen, eine Frau mit Kinderwagen plaudert am Gartenzaun mit den Nachbarn. Außer unserem kein Auto weit und breit.

Wir werfen kurz einen neugierigen Blick in die Gaststätte, die mit dunklen Massivholzmöbeln, Lampenschirmen aus Glas und Dekotellern an den Wänden den Charme der 1980er Jahre versprüht. Weil der Spätsommerabend herrlich warm ist, setzen wir uns in den Biergarten. Drei ältere Männer trinken dort bereits schweigend ein Feierabendbier. Die Dame am Nachbartisch hat dafür umso mehr Gesprächsbedarf: Sie leide unter einer extremen Lebensmittelunverträglichkeit, erzählt sie der geduldigen Bedienung laut genug, dass auch wir es gut verstehen, schon ein Hauch von Milch im Essen sei zu viel, sie könne daher gar nicht anders, als sich vegan zu ernähren.

Als uns die Speisekarte gebracht wird, bin ich überrascht: Nur drei Gerichte stehen zur Auswahl, allesamt bekannte Klassiker. Nur dass sie hier eben vegan zubereitet werden: das Chili mit Tofu-Hack und reichlich weißen und roten Bohnen, das Schnitzel aus Saitan mit einer Panade ohne Ei, die Pasta mit Gemüsesauce. Am Sonntag sei die Auswahl größer, dann gebe es auch Vorspeisen und ab und zu ein experimentelleres Gericht, erklärt uns die Bedienung, die sich als Inhaberin Annika Mason entpuppt, mit charmantem englischen Akzent. Aber grundsätzlich sei es die Idee des Restaurants, Gerichte anzubieten, die jeder kenne: „Wir wollen veganes Essen demokratisieren“, erklärt sie mir. „Wir glauben, dass wir als Gesellschaft weniger Fleisch essen müssen, und wollen gerne ein Angebot dafür machen – mit gutem Geschmack und günstigem Preis.“

Der Biergarten füllt sich. Am Nachbartisch nimmt eine Familie mit zwei kleinen Kindern Platz, aus einem alten VW-Bus mit Berliner Kennzeichen steigt eine Gruppe Mittzwanziger. Flink geht Annika Mason von Tisch zu Tisch, nimmt Bestellungen auf, eilt nach drinnen, bringt Teller nach draußen, und nimmt sich trotzdem die Zeit, mit ihren Gästen zu plaudern. Auch das ist Teil des Konzepts: alle willkommen heißen. Und niemanden mit starken Meinungen verschrecken. Dass dieses Konzept von Anfang an aufgeht, hat sogar Mason und ihren Mann Hugo Barrett überrascht: Etwa zwei Drittel der Gäste kommt aus der Gegend, was wohl auch daran liegt, dass es im Dorf keine weitere Gaststätte gibt. Unter den Stammkunden ist sogar ein Jäger. Es kommen aber auch vegane Aktivisten aus Berlin, die einen Ausflug machen. „Wenn man eine Gaststätte auf dem Land hat, kann man nicht schwarz-weiß denken“, ist Annika Mason überzeugt. „Und ich glaube, dass dieser Jäger aus dem gleichen Grund in den Wald geht, aus dem wir unser Restaurant betreiben: Weil wir gegen Massentierhaltung sind.“

Bleibt die Frage: Wie kommt es eigentlich, dass zwei Zugereiste – Mason ist Britin, ihr Mann Neuseeländer – ein veganes Restaurant ausgerechnet in einem brandenburgischen Dorf eröffnen? Das hat ein bisschen mit Zufall zu tun, aber auch mit dem Gespür und Mut, den richtigen Moment zu erkennen und zu nutzen. „Wir lieben Brandenburg, wir waren fast jedes Wochenende da, und wollten schließlich aus Berlin rausziehen, um dort eine Pension zu eröffnen“, erzählt Mason. Nach einiger Sucherei entdeckten sie die perfekte Immobilie: nicht zu weit von Berlin entfernt, in einer Gegend, die mit Badeseen und Radwegen Ausflügler anzieht, nicht zu groß – und mit einer leer stehenden Gaststätte im Erdgeschoss. Die beiden wagten den Versuch: „Wir sind beide gerne Gastgeber, und Hugo liebt es zu kochen.“ Starthilfe bekamen sie von einer Freundin, die seit 30 Jahren vegan kocht.

Ein halbes Jahr später scheint sich der Betrieb gut eingespielt zu haben. Obwohl die beiden den Laden allein schmeißen, müssen wir nicht allzu lange warten. Der erste Bissen vom Schnitzel ist dann eine echte Überraschung: Das Mundgefühl ist fast genau wie bei einem Stück Fleisch, optisch ist für Uneingeweihte kein Unterschied zu erkennen, und auch der Geschmack ist nah dran am Original. Für Menschen, die ihren Fleischkonsum bewusst reduzieren wollen, ist das tatsächlich ein Angebot, das kein bisschen nach Verzicht schmeckt. „Für manche Veganer allerdings“, sagt Annika Mason entschuldigend, „ist unser Schnitzel too much.“

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