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Vom Wohnzimmertisch nach Rotterdam, New York und Venedig

Die Hamburger Produktionsfirma „Fünferfilm“ realisiert ambitionierte und eigenwillige Filme. Um Einspielsummen geht es dabei nicht. Trotzdem wird sie immer professioneller

Von Wilfried Hippen

In der Rockmusik gibt es „Garagenbands“, beim Film „Wohnzimmerfirmen“. Wie im Fall der Hamburger Produktionsfirma Fünferfilm. Die haben der Filmemacher Karsten Krause und der Filmkaufmann Frank Scheuffele in ihrer Wohngemeinschaft gegründet. Und dort wird auch ein großer Teil der Arbeit erledigt. Da nervt es Scheuffele dann schon etwas, wenn Krause zu Hause monatelang an seinem Film schneidet und sein Mitbewohner immer und immer wieder die gleiche Tonschleife aus dem Nebenzimmer mitanhören muss.

Für Karsten Krause war es eine Notwendigkeit, selber eine Produktionsfirma zu gründen, denn für die Filme, die er und seine Clique machen wollten, gab es niemand anderen, der ihnen diese entscheidende Arbeit abnehmen würde. Scheuffele ist seit vielen Jahren bei der Hamburger Kurzfilmagentur angestellt, kann also „gut rechnen“ und wollte auch mal unabhängig arbeiten. So kam es dann zur Firmengründung im Jahr 2016.

Bisher hat Fünferfilm sieben Produktionen fertiggestellt. Aber Erfolg bemisst sich bei einer Firma wie dieser nicht in Einspielsummen an Kinokassen, der Zahl der an das Fernsehen verkauften Produktionen oder Zuschauerzahlen, sondern in Festivaleinladungen und Auszeichnungen. Nur Festivalbesucher haben etwa bisher „Drift“ (siehe taz nord vom 5. 10. 2017) von Helena Wittmann sehen können. In dem experimentellen Spielfilm treffen sich zwei Freundinnen auf Sylt und treten beide lange Seefahrten an: die eine über den Atlantik nach Argentinien, die andere in einem Segelboot in der Karibik.

„Drift“ hatte seine Weltpremiere auf den Filmfestspielen von Venedig, wurde international auf über 70 Filmfestivals eingeladen und lief in einer Reihe des Lincoln Centers in New York mit „the most important debutfilms of the 2000s“.

In Hamburg war dieses international erfolgreiche Projekt dagegen von der Filmförderung abgelehnt worden und Fünferfilm mussten deshalb ihre erste große Produktion mit weniger Geld als im Budget vorgesehen stemmen. Im Nachhinein hat dies die hanseatischen Kulturbürokraten sehr geärgert – so hatte Fünferfilm für seine nächsten Produktionen dort viel bessere Karten.

Sie widmeten sich „künstlerischen, gewagten und sehr individuellen Erzählformen“, formuliert Julia Cöllen das Selbstverständnis der Firma auf der Homepage. Sie gehört seit einem Dreiviertel-Jahr als die Dritte zur Firma, ist keine WG-Genossin und arbeitet als „kreative Produzentin“. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist die Finanzierung der Filme. Julia Cöllen kann etwa gut „pitchen“, also Entscheidungsträgern ein Projekt mit einer kurzen, prägnanten Vorstellung schmackhaft machen.

Für Helena Wittmanns nächsten Film „Human Flowers of Flesh“ konnte sie Koproduzenten in Frankreich und Griechenland gewinnen, sodass der Spielfilm, der unter anderem auf Korsika und in Algerien gedreht werden soll, mit Denis Lavant und Angeliki Papoulia zwei international renommierte Hauptdarsteller haben wird.

Bei einer solchen Produktion müssen dann Entscheidungen getroffen werden, die sich für Fünferfilm bisher so noch nicht stellten. So erzählt Scheuffele etwa davon, dass es jetzt, Monate vor Drehbeginn, schon eine Anfrage darüber gibt, wie groß denn der Wohntrailer für die Hauptdarstellerin sein werde.

Auch der zweite lange Film der Firma ist ein Erfolg auf Festivals. „Olanda“ von Bernd Schoch feierte seine Weltpremiere im Forumprogramm der Berlinale 2019, im November wurde er auf der 35. Duisburger Filmwoche mit dem „Arte Dokumentarfilmpreis“ ausgezeichnet. In 154 Minuten folgt Schoch darin Pilzesammlern in den rumänischen Karpaten. Die Saisonarbeiter arbeiten und leben dort in prekären Verhältnissen.

„Olanda“ zeigt zum einen, wie mühsam diese Arbeit ist. Schoch folgt den Pilzesammlern mit der Kamera in langen Sequenzen, lässt das Publikum dabei selber Pilze entdecken und den prächtigen nächtlichen Sternenhimmel über der wilden Waldlandschaft bewundern. Doch er zeigt auch die Mechanismen des wild sprießenden kapitalistischen Systems, indem er deutlich macht, wie wenig die Sammler für die später an die Gastronomie teuer verkauften Pilze bekommen – und wie hart die Arbeitsbedingungen in einer Manufaktur sind, in der Frauen in Schichten, die zwölf Stunden und länger dauern, die Pilze putzen.

„Olanda“ folgt Pilzesammlern in den rumänischen Karpaten. Die Saisonarbeiter arbeiten und leben dort in prekären Verhältnissen

Dass Arte den Dokumentarfilmpreis vergibt, bedeutet übrigens noch lange nicht, dass der Sender den Film auch einkauft und sendet. Stattdessen ist eine Kinoauswertung geplant, mit einer Kinotour im Mai und einem Symposium in Hamburg mit Ausstellung, Lesungen und Konzerten zum Thema „Pilze“.

Firmengründer Karsten Krause hat mit „At the Bottom of the Sea“ nun auch selber einen längeren Film fertiggestellt. Die Weltpremiere des 50 Minuten langen Essayfilms fand vor zwei Wochen auf dem Filmfest Rotterdam statt. Krause drehte ihn zusammen mit dem US-amerikanischen Künstler Dan Boehl in dessen Heimat Westtexas. Die beiden untersuchen mit langen, meist menschenleeren Einstellungen und kurzen Erzählungen von Texanern im Off das Verhältnis zwischen Landschaft und Mensch.

Im vierten Jahr wird Fünferfilm immer mehr zu einer professionellen Produktionsfirma. Der Umzug in Büroräume bei der Kulturgenossenschaft Fux in Altona sowie die Umwandlung in eine GmbH stehen bevor und etwa ein Dutzend Filmprojekte sind in Arbeit, von denen einige noch in diesem Jahr fertig werden.

So etwa ein „improvisierter Spielfilm“ von Lilli Thalgott und Mignon Remé mit dem Titel „Blind Fliegen“ und eine Serie von Kurzfilmen, die Arte für sein Online-Programm in Auftrag gegeben hat. Unter dem Titel „Wer war zuletzt am Kühlschrank“ erzählen vier fünfminütige Episoden vom Leben in einer Wohngemeinschaft von Wassertieren. Das Drehbuch hat Daniel Nocke geschrieben, inszeniert wird mit Handpuppen, im Stil der Muppetshow.

Es besteht also die Gefahr, dass eine Produktion von Fünferfilm populär werden könnte. Inspiration für den Firmennamen war übrigens das Plakat vom Fünfmetersprungbrett in einem Schwimmbad. Jetzt könnten sie sich in „Zehnerfilm“ umbenennen.

Infos: www.fuenferfilm.de

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