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StadtgesprächAlexandra Mostyn aus PragBarockes Kunstwerk oder Symbol der Unterdrückung? Eine alte Marienstatue entzweit die Prager

Sprechen die Prager vom Graben, haben sie meist die schicke Einkaufsmeile zwischen Gemeindehaus und Wenzelsplatz im Sinn, die hier im Laufe der Jahrhunderte aus der mittelalterlichen Stadtbefestigung gewachsen ist. Schon im 19. Jahrhundert galt die Straße Am Graben als eine der edelsten Flaniermeilen der Stadt. Damals machte sie ihrem Namen sogar noch Ehre, trennte sie doch die Alt- von der Neustadt, das deutschsprachige vom tschechischsprachigen Prag: Franz Kafka verbrachte den größten Teil seines Lebens nördlich des Grabens, sein Zeitgenosse Jaroslav Hašek („Schwejk“), blieb, abgesehen von Kneipenausflügen in die Altstadt, lieber auf der südlichen Seite.

Seitdem sind viele Steine am Grunde der Moldau gewandert. Heute zahlen hier internationale Ketten die höchste Ladenmiete in den vier Visegrád-Staaten, 2.820 Euro pro Quadratmeter, um täglich von Touristen- und Touristenhorden auf Russisch, Chinesisch, Englisch, Deutsch und drölfzig anderen Sprachen aus sämtlichen Ecken der Welt bevölkert zu werden. Der Graben des deutsch-tschechischen Kulturkampfs ist zugewachsen.

Aber ein neuer hat sich geöffnet. Den sieht man nicht auf den ersten Blick. Aber man hört ihn in den Kaffeehäusern und an den Stammtischen, und man erkennt ihn in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke. Seit dem Sommer hat diese gesellschaftliche Kluft im Mikrokosmos Prag die Tiefe des Marianengrabens erreicht. Nein, sie ist Prags Marianengraben.

Nicht nur ihrer Unüberwindbarkeit wegen, sondern weil sich dieser Graben um sie dreht: die Maria. Ja, die. Wie kommen die Prager dazu, sich der heiligen Maria wegen in zwei unversöhnliche Lager zu spalten? Von den knapp 1,3 Millionen Hauptstadtbewohnern haben sich bei der letzten Volkszählung nur 80.150 zur katholischen Kirche bekannt.

Nun, streng genommen geht es nur um eine Maria. Eine barocke aus Sandstein, etwa zwei Meter groß. Die wurde 1650 mitten im Herzen Prags, auf dem Altstädter Ring, errichtet und zwei Jahre später unter Anwesenheit von Kaiser Ferdinand III. geweiht.

Diese original Sandstein-Maria wurde am 3. November 1918, fünf Tage nach Gründung der Tschechoslowakei, von einem nationaltrunkenen Mob mit Unterstützung der Feuerwehr aus dem Prager Stadtteil Žižkov gestürmt, erobert und zerstört. Der Zeitgeist der neuen Republik hatte die Marienstatue zu dem Symbol der alten Ordnung gemacht, das fallen musste.

Zwar war die Maria anno 1650 nicht errichtet worden, um den Sieg der Gegenreformation bei der Schlacht vom Weißen Berg (am westlichen Stadtrand von Prag) dreißig Jahre zuvor zu feiern, wie damals behauptet wurde. Sondern um für die Befreiung der Stadt von schwedischer Belagerung gegen Ende des Dreißigjährigen Kriegs zu danken. Heute würde man sagen, die Statue wurde das Opfer von Fake News.

Vor knapp zwei Wochen vermuteten die meisten Prager erst, dass es sich bei der Meldung, die gerade aus der Magistratssitzung gesickert war, auch um Fake News handeln muss. Dass der Prager Stadtrat erlauben würde, eine Kopie der zerstörten Marienstatue an deren alter Stätte auf dem Ring zu errichten, hatte niemand erwartet. Noch 2015 und 2017 wurden entsprechende Anträge abgelehnt. Oberbürgermeister Hřib berief sich sogar auf den tschechoslowakischen Gründerpräsidenten Masaryk, der die Prager Mariensäule als Symbol der Unterdrückung der tschechischen Nation bezeichnete.

Die Säule sei vor allem ein frühbarockes Kunstwerk und gehörte zu den ersten drei Mariensäulen nördlich der Alpen, argumentieren die Säulenjünger, die seit den frühen 1990ern für eine Rückkehr der Maria auf den Altstädter Ring kämpfen. Diese Mürbemacherei trage jetzt Früchte, schimpfen die Antimarianer. Der Stadtrat habe einer Auferstehung der Mariensäule zugestimmt, weil man einfach die Nase voll hatte von der ewigen Diskussion.

Die Prager selbst, so belegen hartnäckig die Umfragen der vergangenen Jahre, lehnen die Maria in ihrer Mehrheit ab. Niemand kann ausschließen, dass nicht auch der Marienstatue 2.0. ein ähnliches Schicksal beschieden ist wie ihrer Vorgängerin, höhnen schon einige. Zur Brückenheiligen wird die Maria jedenfalls nicht werden.

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