Im Landeanflug

Unsere Autorin hat lange in einer Wohnung gewohnt, über der die Flugzeuge niedergingen. Letztes Jahr ist sie umgezogen

Von Katrin Seddig

Ich bin im letzten Jahr von Hamburg-Eilbek nach Altona gezogen, und seitdem kann ich mich über Fluglärm nicht mehr beschweren. Fluglärm ist eine ganz spezielle Form von Lärm, weil er von oben auf uns drückt. Gemäßigten Fluglärm gibt es fast überall. Wenn wir im Sommer in den Alpen wandern, wo uns kaum jemand begegnet als ein Murmeltier, dann kommt auch dort die Zivilisation über uns, in Form eines Flugzeuges, das oben in den Wolken donnert.

Es gibt keinen Ort auf der Welt, sei er auch noch so abgelegen oder schwer zu erreichen, wo ein Flugzeug nicht drüber hinwegfliegen könnte. Und das ist ein Bild unserer Welt, dass wir uns alles untertan machen können. Was den Menschen einst, als ihnen die Wildnis bedrohlich erschien, ein Triumph und eine Errungenschaft schien, ernüchtert uns heute. Nicht nur wir kommen überall hin, auch unser Dreck, unsere Zerstörung.

Als ich in Eilbek wohnte, in einer Wohnung unter dem Dach, da quälte mich der Fluglärm zuweilen sehr. Ich erwähnte das einmal und wurde ausgelacht. „Ich finde das Brummen am Himmel schön“, sagte einer. Das Brummen am Himmel, ein von der Sonne golden angestrahlter Flieger auf dem Weg in die ferne Welt, das sind romantische Vorstellungen (und Erlebnisse) von Menschen, die nicht zwölf Jahre in meiner Eilbeker Wohnung unter dem Dach gewohnt haben.

Das Brummen eines Flugzeuges kann mich hier, in Altona, auch nicht aus der Ruhe bringen. Ich wohne bewusst und gerne in der Großstadt, ich habe mich an Geräusche relativ gewöhnt und bin immer noch lieber einem städtischen Trubel ausgesetzt als einer ständigen Ruhe.

Ich profitiere ja auch von diesen Geräuschen, vom Leben, ich bin nicht lebensfeindlich. Aber es gibt Grenzen, und die sind gesundheitlich. Die schöne und geschäftsfreundliche Stadt Hamburg hat es geschafft, sich gegen alle Bestrebungen und Beschwerden, ihren innerstädtischen Flughafen zu erhalten. Der Preis sind gequälte Menschen. Und das sind die, die dort wohnen, wo diese goldenen Brummer in den Landeanflug niedergehen.

Eigentlich darf in dicht besiedelten, innerstädtischen Gebieten so etwas nicht geschehen, aber „eigentlich“ ist kein bedeutungsvolles Wort. Zunehmend und aus den verschiedensten Gründen wurde der Hamburger Flughafen in den letzten Jahren über den Osten hinweg angeflogen. Wenn ein Flugzeug niedergeht, dann ist das laut. Wie laut, das weiß nur der, der in einem Haus wohnt, über dem ein Flugzeug an Höhe verliert.

Es mögen die Höhnenden schweigen

Eilbek ist mitnichten ein an den Flughafen angrenzender Stadtteil, es mögen also die Höhnenden schweigen, die dann immer gleich sagen: Aber das haben sie gewollt, als sie da hingezogen sind. Weil sie es ja schließlich gewusst haben. Nein, das habe ich nicht gewusst, ich habe nicht gewusst, dass ich in diesem recht zentralen Teil von Hamburg derart vom Flugverkehr betroffen sein würde.

Es ist auch zunehmend schlimmer geworden. Es hat mich in meiner Dachwohnung förmlich niedergestreckt, man kann sich das ruhig bildlich vorstellen. Ende August, wenn die Ferienflieger im Dreiminutentakt landen, bin ich mehrmals verzweifelt in Tränen ausgebrochen. Drei Minuten, man stelle sich das einmal vor! Wenn ein Flugzeug im Landeanflug über deine Dachgeschosswohnung fliegt, dann verstehst du nichts mehr, dann kannst du den Fernseher nicht mehr hören, das Radio, was dein Freund dir sagt.

Und auf gar keinen Fall kannst du schlafen. Um dreiundzwanzig Uhr sollten keine Flugzeuge mehr landen dürfen, sie landen aber, sie landen weit nach dreiundzwanzig Uhr, im August, wenn die Ferien dem Ende zugehen. Sie landen und sie landen, und vielleicht zahlen sie fünfzig Euro Strafe oder etwas in der Art? Aber sie landen. Und dann schläfst du ein, und dann wirst du wach, es ist zwei Uhr fünfundzwanzig, und sie landen.

Es gibt Ausnahmen. Es gibt so viele Ausnahmen, dass du dir die Haare raufen möchtest. Das ist Fliegen, das bedeutet es für Menschen, die blöderweise in einer Ecke der Stadt, in einem Haus, direkt unter anfliegenden Flugzeugen leben. (Und nein, ich fliege nicht.)