berliner szenen: Nachts noch mal los,zum Späti
Wir wedelten eine Weile mit den Händen. Die vorbeifahrenden Taxis waren voll besetzt. Ein angehender Professor für einen Lehrstuhl in Oslo, eine Zugezogene aus Barcelona, ein scheidender Vertreter eines südamerikanischen Landes und ich standen an der Kreuzung Friedrichstraße, Unter den Linden. Für Sekunden fühlten wir uns wie am Times Square inmitten des tosenden Verkehrs und der absoluten Gegenwart, die permanent getwittert wird.
Der angehende Professor jonglierte tropffrei in Plastikbechern Gin Tonic, den er noch oben im Apartment des scheidenden Diplomaten gemixt hatte. Wir besprenkelten die Fahrbahn rituell und ungewollt und ein wenig später zischten wir einem scharf bremsenden Taxifahrer eine Adresse im Wedding zu. Der Taxifahrer schmunzelte im Spiegel, als er den Straßennamen hörte. GPS muss ich nicht einschalten, sagte er, da komm ich her. Wir dankten nickend und switchen wieder auf Spanisch.
Mehrmals wurden wir hinund hergeschüttelt, knallten in die Sitzlehnen zurück, Wildtiere und schwankende Menschen, die uns mit ihren entzündeten Pupillen anstarrten, tauchten plötzlich auf der Fahrbahn auf. Sie trollten sich erst, als der Fahrer die Geschwindigkeit drosselte.
In einer dunklen Stichstraße kam das Taxi zum Stehen. Wir kramten Münzen zusammen, polterten eine Treppe hinauf und saßen auf einmal in voller Montur in einer Küche, so gut dekoriert mit getrockneten Blumen und bunten Federn, dass man ihre Schlauchform übersah. Zwei Frauen saßen am Küchentisch und scherzten über Fontane, Humboldt und all die andere Mischpoche, die gerade Jahrestag feiert. Wir haben nicht mehr mit euch gerechnet, sagten sie und schickten uns gleich wieder los – nach unten zum Spätkauf. Timo Berger
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