piwik no script img

Autorin Julie Otsuka über ihren RomanSchreiben ist Detektivarbeit

Der Roman „Als der Kaiser ein Gott war“ von Julie Otsuka handelt von einer Zeit, als die Japanese Americans potenziell als innere Bedrohung galten.

Japanischstämmige AmerikanerInnen warten auf den Zug während der Evakuation durch die US-Armee 1942 Foto: akg-images/Glasshouse/Circa Imag
Interview von Katharina Borchardt

taz am Wochenende: Frau Otsuka, nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor 1941 wurden viele in den USA ansässige japanische Familien in Lager deportiert. Von einer solchen Familie erzählen Sie in Ihrem Roman „Als der Kaiser ein Gott war“. Ihre eigene Familie hat Ähnliches erlebt?

Julie Otsuka: Ja, auch die Familie meiner Mutter wurde damals deportiert. Es war eine wohlsituierte Familie, denn mein Großvater war Hauptgeschäftsführer einer japanischen Handelsgesellschaft in San Francisco. Meine Mutter war damals erst zehn Jahre alt und verlebte eine angenehme Kindheit in Berkeley. Doch das änderte sich plötzlich, als der Krieg ausbrach.

Ihr Familie wurde ins berüchtigte Wüstenlager Topaz im US-Bundesstaat Utah gebracht.

Zuerst kamen sie in ein Sammellager auf der Pferderennbahn Tanforan in San Bruno, Kalifornien. Dort wurden sie in Baracken gesperrt. Andere wurden in die Pferdeställe gepfercht. Nach ein paar Monaten überführte man sie in einem Zug mit verhängten Fenstern nach Utah. Die Reise dauerte zwei Tage und zwei Nächte.

„Als der Kaiser ein Gott war“ ist Julie Otsukas Debütroman. Darin erzählt sie von der Deportation einer namenlosen amerikanischen Familie japanischer Herkunft: vom Abschied von zu Hause, dem Tanforan-Sammellager, der Zugfahrt in die Wüste, dem Lager in Topaz und der Heimkehr nach dem Krieg.

Ihr Roman beginnt mit der Figur der namenlosen Mutter. War sie die Keimzelle dieses Romans?

Am Anfang stand tatsächlich ihr Bild. Als ausgebildete Malerin und Bildhauerin denke ich sehr visuell. Eines Tages hatte ich das Bild einer japanischen Frau im Kopf, die einen dieser Aushänge liest, auf denen damals alle Japaner aufgefordert wurden, sich für die Deportation zu sammeln. Das wurde der Einstieg für meinen Roman.

Und dann erzählen Sie die Geschichte dieser Familie bis zu ihrer Heimkehr nach dem Krieg. Ihre Familie mütterlicherseits hat dasselbe durchlebt. Wurde zu Hause darüber gesprochen?

Foto: Bob Bessoir
Im Interview: Julie Otsuka

Die Schriftstellerin Julie Otsuka wurde 1962 in Palo Alto, Kalifornien geboren. Sie lebt heute in New York

Kaum. Ich erinnere mich nur, dass ab und zu das Stichwort camp fiel. Doch meine Mutter erwähnte es nur in sehr leichtem Tonfall. Es ging dann immer um Sonne und Sand und dass man sich zum Essen anstellen musste. Deshalb dachte ich als Kind, sie würde von einem Ferienlager erzählen. Erst später wurde mir bewusst, dass sie von amerikanischen Internierungslagern sprach.

Wie gingen Ihre Verwandten nach dem Krieg mit den Erfahrungen aus dieser Zeit um?

Meine Familie hatte alles verloren, was sie sich vor dem Krieg erarbeitet hatte. Ich spürte immer, dass es bei uns viel unterschwellige Trauer und Wut gab, über die aber nie geredet wurde. Ich glaube, dass ich deshalb auch Autorin geworden bin: weil so viel geschwiegen wurde. Schreiben ist eine Art Detektivarbeit.

Hat Ihre Mutter Ihre Romane gelesen? Wie hat sie darauf reagiert?

Als ich anfing, meinen ersten Roman zu schreiben, war meine Mutter leider schon an Alzheimer erkrankt. Und als das Buch dann fertig war, konnte sie es nicht mehr lesen und verstehen. Aber mein Vater war sehr stolz auf mich. Ich bin ja eine richtige Spätzünderin. Viele Jahre lang habe ich versucht, als Malerin zu leben. Weil das nicht geklappt hat, habe ich gekellnert und auch als Sekretärin gearbeitet. Es hat lange gedauert, bis ich zum Schreiben gekommen bin.

Julie Otsukas zweiter Roman „Wovon wir träumten“ wurde bereits 2012 ins Deutsche übersetzt. Dieser Roman löst sich von Otsukas Familiengeschichte und basiert vor allem auf historischen Recherchen. In einer beeindruckenden Wir-Perspektive kommen darin japanische „Importbräute“ zu Wort, die Anfang der 20. Jahrhunderts in die USA kamen, um dort ansässige Männer japanischer Herkunft zu heiraten.

Das Buch

Julie Otsuka, „Als der Kaiser ein Gott war“, aus dem Amerikanischen Englisch von Irma Wehrli. Lenos Verlag Zürich 2019, 192 Seiten, 22 Euro

Sie beschäftigen sich in Ihrem Werk sehr intensiv mit der Geschichte der Japanese Americans. Wird diese Geschichte heute in amerikanischen Schulen gelehrt?

Zu meiner Zeit noch nicht. Und auch als ich an meinem Debüt arbeitete, das 2002 auf Englisch erschien, gab es noch kaum etwas dazu. Dabei schwelte das Thema ja in unseren Familien, und ich fand, dass ich mit meiner Geschichte eigentlich ziemlich spät kam. Heute ist das anders. Mittlerweile werden viel mehr farbige AutorInnen publiziert als früher. Deswegen kennt man inzwischen auch unsere Geschichten ein bisschen besser.

Einer der wenigen Romane zur Geschichte der japanischstämmigen Amerikaner ist der Roman „No-No Boy“ von John Okada aus dem Jahr 1957. Auch in Ihrem Roman treten am Rande einige No-No Boys auf.

No-No Boys wurden die Japaner genannt, die im Lager einen Loyalitätsfragebogen bekamen und zwei Fragen darauf mit Nein beantworteten. Die erste Frage lautete: Würden Sie für die Armee der Vereinigten Staaten kämpfen? Und die zweite war: Schwören Sie Ihrer Treue zum japanischen Kaiser ab? Das war eine tückische Prüfung, weil die meisten Japaner dem Tenno gar nicht treu waren und es also nichts zum Abschwören gab. Andererseits waren manche aber auch nicht bereit, für ein Land zu kämpfen, das ihre Familien internierte. Wer zwei Mal mit Nein antwortete, kam ins gefürchtete Männerlager Tule Lake in Kalifornien.

Viele antworteten aber auch mit Ja-Ja, um ihre Loyalität unter Beweis zu stellen.

33.000 Japanese Americans dienten im Zweiten Weltkrieg im amerikanischen Militär. Sie hatten eigene Einheiten und wurden auf schlimme Einsätze an der Westfront geschickt. Erst kürzlich erfuhr ich, dass auch eines der Außenlager von Dachau von solch einer japanischen Einheit befreit wurde. Diese Soldaten befreiten die jüdischen Gefangenen, während ihre eigenen Familien in den USA in Lagern saßen.

Das muss das Lager „Kaufering IV Hurlach“ bei München gewesen sein.

Es heißt, dass die Häftlinge dort zunächst dachten, die Japaner hätten den Krieg gewonnen. Die Soldaten mussten erst erklären, dass sie Amerikaner waren.

Der Krieg im Pazifik war nach den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki beendet. Japan kapitulierte, und der Tenno gab offiziell seine Göttlichkeit auf. Nach Gründung der Volksrepublik China 1949, dem Ausbruch des Korea-Kriegs 1950, dem Kalten Krieg und der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus stieg Japan schnell zum wichtigen Verbündeten der USA im Pazifik auf.

Das 20. Jahrhundert war für die japanischstämmigen US-Bürger ein Wechselbad der Gefühle. Wie ist es heute?

Wir sind in erster Linie alle Amerikaner. Aber in den Vereinigten Staaten kann die Stimmung sehr schnell umschlagen. Eine gute ethnische Gruppe kann sehr plötzlich als schlechte wahrgenommen werden. Oder umgekehrt. So erging es den muslimischen Amerikanern nach 9/11. Über Nacht wurden sie für viele zum Feind. Die US-Gesellschaft gibt uns da leider keine Garantie.

Sie arbeiten aktuell an Ihrem dritten Roman. Wird es wieder ein historischer Roman, oder führen Sie dieses Mal mehr in die Gegenwart?

Ich werde jetzt eine Geschichte von heute erzählen. Es geht um Alzheimer und ums Schwimmen – das kann ich vielleicht schon verraten. Die Hauptfigur ist aber erneut eine Frau, die während des Zweiten Weltkriegs in den Lagern interniert war. Man wird meine ersten drei Romane am Ende als Trilogie lesen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!