Von Klumpwusten und Klemmödemen

Werkstoffgrenzen kennt der Keramiker und Künstler David Rauer nicht. In seinen Installations-Performances koppelt der Osnabrücker Ernst mit Witz, mag Anarcho-Aktion und Absurdität. In Wilhelmshaven ist nun ein „stadtpsychologisches Archiv“ von ihm zu sehen

Kann sich hier auch Partys vorstellen: David Rauer in seinem neuen Atelier Foto: Jake Mason

Von Harff-Peter Schönherr

Kunst ist für alle da!“ Mit Nachdruck sagt David Rauer das, und die Pause danach ist nicht einfach nur ein Moment der Leere. Er sagt es neben einem Lastenschacht, über dem Ketten ins Kellergeschoss hängen, mitten in seinem Atelier. Es ist klamm, denn aus der Tiefe steigt Feuchtigkeit hoch. Es zieht, denn eins der Fenster besteht nur noch aus Splittern. Es ist kalt, denn der winzige Heizlüfter am Eingang wärmt, wenn überhaupt, nur anderthalb der 130 Quadratmeter. Neben einem Mauerrest wartet ein Vorschlaghammer, an der Wand lehnen Besen. Es ist staubig, marode Möbel dämmern dem Sperrmüll entgegen, überall steinzeitliche Sicherungskästen und Elektrokabel, Relikte der Zeit, als hier noch Gasflaschen befüllt wurden. Zwei Container Schutt warten auf den Lkw.

Vor ein paar Tagen erst ist Rauer eingezogen. Noch wirkt er ein bisschen verloren in seiner verwitterten Halle, die einst Teil des benachbarten Stahlwerks war, dem der Ort im Süden Osnabrücks seinen Namen verdankt: ­Georgsmarienhütte. Eine Betonrampe führt auf Brusthöhe um den endzeitlich verlebten Industriebau herum, Stahlschrott und Holzreste liegen im Buschwerk. Die Treppen sind ausgetreten, manche Lampenfassung ist leer.

Rauer mag so was. „Ein toller Ort!“, sagt er. Eine seiner Töpferscheiben ist schon hier, drei kommen noch, in ein paar Tagen. Dann werden auch seine drei Brennöfen reingehievt. Mannshohe Skulpturen passen in den größten von ihnen. In der Keramik liegen Rauers Wurzeln. Aber sein absurd-skurriles Ton-Universum, das mal an Amöben erinnert und den rausgequetschten Inhalt von Tomatenmarktuben, mal an DNA-Modelle, Schlauchknäule, Seeminen und Schimmelpilzkulturen, ist nur ein Teil seines Werks.

„Keramisches Arbeiten ist ja nicht sehr spontan!“, sagt Rauer und hebelt eine Bio-Limonade auf. „Und wenn du dazu was gefragt wirst, dreht sich’s meistens nur ums Handwerkliche.“ Aber da ist ja noch seine zweite Welt: Installationen, oft von Performance-Aktionen und Besucher-Partizipation flankiert, oft improvisiert und ziemlich anarchisch. Werkstoffgrenzen gibt es für sie nicht, vom Klärschlammsack bis zum Autowrack. Manchmal geht die Keramik mit ihnen eine Symbiose ein.

Stadtpsychologisches Archiv

Zum Beispiel in „Forma Forma“: 130 Meter lang war das labyrinthische Gang-, Raum- und Röhrensystem, das Rauer 2016 in die Kunsthalle Osnabrück hineingebaut hat, im Kollektiv mit Joshua Sassmanns­hausen, aus Holz, Kunststoff, Steintrümmern, Textilien. Derzeit bereitet Rauer, im Kollektiv mit Samuel Treindl, eine Aktion für die Kunsthalle Wilhelmshaven vor. Phase 1: Abformungen entstehen, von der Häuserecke bis zum Passantenarm, bilden ein „stadtpsychologisches Archiv“. Phase 2: Wachs wird in sie hineingegossen, und alles bildet, arrangiert in einem Glasraum, eine Gesamt­skulptur. Ob es am Ende schmilzt, hängt von der Sonne ab.

Warum die Aktion „Afteradalbert­plundersculpture“ heißt? Wer von der „Prinzbesetzung“ weiß, mit der Rauer und Treindl 2019 das Denkmal für Adalbert von Preußen verfremdet haben, den Stadtgründer Wilhelmshavens, hat Verständnisvorteile: Vier Tage lang haben sie an ihm kampiert, in einer aus Ortsfunden gebauten Hütte, einem Verweis auf die Waldbesetzerbauten im Hambacher Forst. „Wir wollten polarisieren, mit Passanten ins Gespräch kommen, das Monument infrage stellen“, sagt Rauer. Viele fanden das gut. Andere haben empört die Polizei gerufen. „Plötzlich waren wir von drei Mannschaftswagen umringt.“ War alles genehmigt, als Kunst­ak­tion.

Rauer, mit 34 noch jung, mag es „ein bisschen verrückt“, produktiv verstörend. Was zu machen, das „nur gefällig“ ist, kann er sich nicht vorstellen. Ernst paart sich dabei mit Augenzwinkern. „Natürlich schauen wir auch auf Dinge, die weh tun, da ist oft auch Gesellschaftsrelevanz im Spiel. Aber ich sehe mich nicht explizit als politischer Künstler.“ Rauer weiß um die Kraft des Lachens. Auch des Lachens über sich.

Dass er das Rad der Kunst nicht neu erfindet, nicht inhaltlich, nicht werkstofflich, ist Rauer klar.„Ich bin eher wie ein DJ. Ich mische Sachen, immer neu. Ich habe alle Gleise offen.“ Bühnenbilder hat er gebaut. Stipendien haben ihn nach Japan geführt, nach Georgien. Workshops hat er geleitet. Arbeiten von ihm waren in Indonesien zu sehen, in den Niederlanden, in der VR China. Von Wuppertal bis Bergkamen hat er den öffentlichen Raum umdefiniert, von Berlin bis Recklinghausen. Als er 2006 seine Keramiker-Ausbildung anfing, war das nicht zu erahnen. Auch nicht sein Kunststudium. Auch nicht, dass er 10 Jahre später Dozent wird, an der Hochschule Osnabrück.

Rauer steht für vieles. Aber dieses viele bildet eine Handschrift. Eins seiner Elemente: dadaistisch verrätselte Texte. Das liest sich dann, zum Beispiel, so: „Adrige Masse aus Klumpwust öffnen die Schleusen. Feine Kanalschleifen reifen heran. Zermatert ist das Urmosom.“ Ebenso provokativ: Aktions-Titel wie „Klemmödem“ und „Modularpfiffi“. Da hakt die Zunge dann schon mal. Und die Interpretation auch. Aber das sollen sie ja gerade. Und sinnlos ist all das nie.

Raum füllen, Raum sprengen

Rauer hat für Oldenburg das „Quall­odem“ geboren, ein raumfüllendes, raumsprengendes, gleichsam fleischiges Wesen mit angeschnittenen Tentakeln, die einen Blick in das Leben ihrer Innereien erlauben. In Nijmegen hat er mit Sassmannshausen das „Tentorama“ aufgebaut: weiße Zelte, in Parks, auf Grünstreifen, an Gleisanlagen, manche winzig wie für daumengroße Zwerge, manche groß wie für Menschen.

Jetzt hat David Rauer also ein neues Atelier. Partys kann er sich hier vorstellen und natürlich Ausstellungen. Ach ja: Die Halle gehört einem Künstlerkollegen, Volker-Johannes Trieb aus Osnabrück. Auch dessen Wurzeln liegen in der Keramik, auch er entwirft Installationen, und nicht nur im Keller, in den der Lastenschacht führt, stehen Zeugnisse davon. Rauer findet diesen Zufall ideal: „Andere Vermieter hätten vielleicht gedacht: Oje, ein Künstler! Ihm brauchte ich nichts zu erklären.“

„David Rauer & Samuel Treindl: Afteradalbert­plundersculpture“: Sa, 26. 1., bis 8. 3., Kunsthalle Wilhelmshaven