berliner szenen
: Das Gesicht, der Blick: alles grau

Die S-Bahn hält am Anhalter Bahnhof, als ich die Frau sehe und weiß, dass sie sich mir gegenübersetzen wird. Es ist ein Gefühl.

Sie setzt sich, hält ihre Handtasche mit beiden Händen, steht auf und streicht ihren Mantel glatt, setzt sich, erhebt sich wieder und glättet den Mantel erneut. Ich denke an einen Hund, der sich vor dem Hinlegen dreht, um imaginäres Gras niederzutreten. Ihr Haar ist grau. Ihr Gesicht, ihr Mantel, die Tasche, ihre Augen, ihr Blick. Alles ist grau. Ich denke an Momos graue Herren.

Sie dreht sich zu ihrer rechten Seite und sieht den Mann neben sich an. Er schaut auf sein Handy. Ab und zu sagt er etwas zu der Frau neben mir. Ich mag den Klang der Sprache. Es ist, als würde Wasser eines Flusses über Steine gurgeln. Vielleicht ist es Hindi, überlege ich. Die graue Frau dreht den Kopf immer wieder zu ihm, dann starr zu mir. Der Mann sieht sie irritiert von der Seite an, sobald sie zu mir sieht.

Im Tunnel quietscht es schrill. Sie spricht mit mir. Ich kann sie nicht verstehen. „Bitte?“, frage ich und sie sagt: „Schrecklich, oder?“

Ich nicke und meine das Quietschen. Sie macht eine ruckartige Kopfbewegung zu dem Mann und der Frau und eine abwertende Geste. Das gefällt mir nicht. Mein Herz klopft. Ich werde rot vor Wut und Scham, runzle die Stirn und schlucke. „Was meinen Sie?“ Die Graue antwortet nicht. Ich sehe sie an und frage wieder: „Was meinen Sie?“ Sie sieht weg. Dann steht sie auf und steigt aus.

Ich begegne dem Blick des Mannes. Er lacht, wischt sich mit der Hand vor dem Gesicht hin und her, sagt etwas, das ich nicht verstehe. „Der Winter macht alle gaga“, übersetzt die Frau und schaut beschwörend. „Mein Vater versteht kein Deutsch.“ Ich verstehe. Ich nicke ihm zu, lächle, wische auch mit der Hand vor meinem Gesicht. Seine Tochter lächelt mit traurigen Augen. Isobel Markus