: Image ist alles
KASACHSTAN In Berlin diskutierten Bolat Atabajew und Lukpan Achmedjarow über die Verstrickungen Deutschlands mit der autoritären kasachischen Regierung
VON SONJA VOGEL
„Die Bevölkerung hat Angst“, sagt Bolat Atabajew. Seit den tödlichen Schüssen der Polizei auf streikende Ölarbeiter in Schanaosen im vergangenen Jahr hat sich die Lage in Kasachstan zugespitzt. Atabajew hat die Willkür des Staates am eigenen Leib erfahren. Der Theatermacher hatte die Streikenden unterstützt und war im Januar wegen „Anstiftung zu sozialer Unruhe“ angeklagt worden. Seine Verhaftung sorgte weltweit für Empörung. In einem Viehtransporter war er nach Aktau gekarrt worden. Dort blieb er zwei Wochen in Haft.
Am Dienstag hatten Reporter ohne Grenzen ins Radialsystem in Berlin geladen. Neben Atabajew, dem nächste Woche die Goethe-Medaille überreicht werden wird, diskutierten der Journalist Lukpan Achmedjarow, Viola von Cramon, Mitglied der Grünen im Bundestag, und der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, über Menschenrechte und Pressefreiheit in Kasachstan. Das zentralasiatische Land wird für Europa immer wichtiger als Rohstofflieferant und Kooperationspartner der Nato. Und das, obwohl es seit dem Ende der Sowjetunion von Nursultan Nasarbajew autoritär regiert wird. Journalisten werden verfolgt, es gibt Foltervorwürfe und keine freien Gewerkschaften. Der monatelange Protest von tausenden Ölarbeitern war darum ein Novum. „Dieser Streik war ein gutes Zeichen“, sagt Atabajew. In Schanaosen habe sich erstmals eine Zivilgesellschaft gebildet.
Auch Lukpan Achmedjarow hatte sich mit den Ölarbeitern solidarisiert. Im April überlebte er nur knapp einen Mordanschlag. Zwar wurde nun eine Untersuchungskommission eingerichtet. Achmedjarow aber zweifelt an ihrem Aufklärungswillen, war eine Anzeige wegen versuchten Mordes doch nur unter internationalem Druck zustande gekommen. Erst als im Mai ein Besuch von Präsident Nasarbajew anstand, kam Bewegung in die Ermittlungen: Es wurden Verdächtige präsentiert – und wieder freigelassen. „Die Polizei hat kein Interesse daran, ein Verbrechen aufzuklären, sondern daran, den Präsidenten zufriedenzustellen“, sagt Achmedjarow.
Auch der Prozess gegen die Todesschützen beim Ölarbeiterstreik hat begonnen – ohne internationale Beobachter. Wiederholt hatten Menschenrechtler diese gefordert. „Man hätte Nasarbajew an vielen Stellen packen können“, kritisiert Viola von Cramon. So hätte eine internationale Untersuchungskommission eine Voraussetzung für die wirtschaftliche Kooperation sein können. Tatsächlich hatte Angela Merkel den kasachischen Präsidenten kurz nach der Niederschlagung des Streiks zur Unterzeichnung eines Rohstoffabkommens empfangen. „Warum haben wir den Mund gehalten? Es war alles absehbar“, empört sich Cramon. Auch ihr Kollege Markus Löning sieht Versäumnisse. Kasachstan 2010 den OSZE-Vorsitz übertragen zu haben, hält er im Nachhinein für einen Fehler. Internationale Prozessbeobachter jedenfalls würden die Regierung Nasarbajew unter Druck setzen. „Image ist für sie alles“, sagt Atabajew.
Den Künstler stört vor allem die Doppelmoral des Westens. Dass Deutschland aber angesichts seines wirtschaftlichen Interesses die diplomatischen Diskursgewohnheiten ändern wird, ist unwahrscheinlich. Denn Kasachstan besitzt für die Hightechproduktion dringend benötigte Rohstoffe. „Wir befinden uns in einem Dilemma“, sagt Löning.
Nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Verquickung sind die kasachischen Regierungskritiker pessimistisch. Achmedjarow glaubt, dass die Regierung aus den Protesten der aufkeimenden Bürgerbewegung gelernt habe. „Der Druck auf die Bevölkerung steigt weiter“, befürchtet der Journalist. Von Europa und Deutschland verspricht er sich indes wenig. „Gab es im Dezember überhaupt ein Interesse an Kasachstan?“, fragt er. „Das ist eine Frage, die mich quält.“
Am Ende der Diskussion meldet sich ein Vertreter des kasachischen Außenministeriums aus dem Publikum zu Wort. Als er sich vorstellt, geht ein Raunen durch den Saal. Die Veranstaltung vermittle den Eindruck von Kasachstan als „schlimmstem Land der Welt“, mokiert er sich: „Wäre Kasachstan totalitär, hätten Atabajew und Achmedjarow ausreisen können?“ Den beiden Kasachen sprach er seinen Respekt aus. Ihm täte es leid, dass ihr Vertrauen in das Land beschädigt sei. Die Proteste der Ölarbeiter, erklärte er dann, gingen auf das Konto von Muchtar Abljasow, der sie allein finanziert habe. Der dissidente Oligarch unterstützte brisanterweise auch Atabajews Theater. Ob man das als Eingeständnis an Bolat Atabajew sehen kann, der schließlich noch seinen Prozess erwartet? Zu dessen Schuld fiel im Radialsystem kein Wort. Abljasow ist ein bequemer Schuldiger – er war schon 2009 ins Exil gegangen.