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Aus den Dingen des Alltags gewonnen

Dem Belgier Koenraad Dedobbeleer geht es darum, Sehgewohnheiten zu durchbrechen. Was dabei herauskommt, zeigt gerade die umfassende Werkschau „Sache“ in Hannover

„Faux Blonde“: Könnte in freier Wildbahn mit einem Trimm-Dich-Gerät verwechselt werden Foto: Raimund Zakowski, Hannover, Kunstverein Hannover

Von Bettina Maria Brosowsky

Wohl selten hat man die Räume des Kunstvereins Hannover so gut „bestückt“ gesehen wie während der aktuellen Ausstellung des belgischen Künstlers Koenraad Dedobbeleer: Insgesamt sind es 46 Objekte oder teils mehrteilige Fotoprints. Aber nicht nur diese Quantität ist bemerkenswert, auch die Vielfalt und Kombinationslust innerhalb einzelner Exponate macht staunen.

Dedobbeleer, 1975 in Belgien geboren und in Brüssel praktizierend, arbeitet mit kunsthistorischen Phänomenen und Verweisen. Er zeigt dabei keine Scheu, Reproduktionen, Repliken und alltagskulturelle Utensilien in seine Objekte einzubeziehen. Außerdem setzt er sich mit den Kernfragen, etwa dem Verhältnis von Sockel und Artefakt, humorvoll kreativ auseinander.

Die umfangreiche Schau Dedobbeleers in Hannover ist Abschluss einer für drei Ausstellungsorte erdachten Folge, die sich aus einem Kernkonvolut aktueller Arbeiten speist und jeweils um orts- und institutionenbezogene Objekte erweitert wird.

Dementsprechend variierte auch der Ausstellungstitel: Auf „Kunststoff“ in der Kunsthalle Wiels in Brüssel folgte „Plastik“ im Kunstmuseum Winterthur – Hinweis auf Interventionen in der dortigen Sammlungspräsentation, konkret an Arbeiten von Brancusi und Rodin. In Hannover geht es zur „Sache“, der Untertitel „Gallery of Material Culture“ blieb in den drei Orten gleich.

Die spezielle Hannoversche Zutat ist eine Museumsbank aus einem historischen Ausstellungsdisplay des Kunsthistorikers Alexander Dorner (1893-1947), der nach seinem Amtsantritt 1919 die Präsentationsformen des Provinzialmuseums, dem Vorläufer des heutigen Landesmuseums, sukzessive modernisierte. Um die Sehkonventionen früherer Zeiten zu vermitteln, schuf er neuartige „Atmosphärenräume“, komplexe Installationen mit farbigen und architektonischen Raumfassungen.

Die besagte Museumsbank, ist ein in seiner Funktion nicht mehr genau ausdeutbarer Hybrid aus Wandverkleidung, Schaukasten und Sitzfläche, den Dedobbeleer nun selber zum Exponat erhebt. Und zwar indem er sie auf einen flachen und runden Sockel stellt und zentral in der großen Oberlichthalle postiert.

Diesem Prinzip folgen weitere installative Objekte. Beispielsweise Bibliotheken aus alten Tischen des Kunstvereins und Buchdubletten aus seinem eigenem Fundus. Von hybridem Charakter wiederum ist die Stahlplastik „Faux Blonde“, ein robust erscheinendes bräunliches Gerät, das nicht nur aufgrund der großen Anzahl von Handgriffen einem Trimm-Dich-Parcours im Freien gut zu Gesicht stehen würde. Eine Serie aus fünf Präsentationen mit allerlei Alltagsbedarf und Küchengerät wiederum nutzt solide Sockel aus abgeschrägten Quadern, hellgrün lackiert, die an geschlossene Volumen technischer Anlagen oder Maschinen erinnern.

Allerlei Alltagsbedarf und Küchengeräte neu arrangiert: Auf dem hellgrün lackierten Sockel erinnern die Dinge an MaschinenRaimund Zakowski, Hannover, Kunstverein Hannover Foto: Foto:

Manches erfordert allerdings immense gedankliche Kombinatorik, wäre auch in der Rubrik Bilderrätsel einer Tageszeitung gut aufgehoben. Wenn etwa ein fotografischer Ausschnitt eines Textils von Josef Frank, einem 1934 nach Schweden emigrierten jüdischen Architekten aus Wien, zu der Fotografie eines Verstärkerturmes einer häuslichen Musikanlage gestellt wird.

Der 1943 für die schwedische Firma Svenskt Tenn entworfene Dekor heißt „Teheran“, der Hersteller der Unterhaltungselektronik „Cyrus“, ein britischer Spitzenproduzent, der die englische Schreibweise des persischen Königsnamens Kyros nutzt. Missing Link ist die Anti-Hitler-Koalition der vier Alliierten, die unter anderem 1943 in der sowjetischen Botschaft in Teheran tagte.

Dennoch: Wer bereit ist, diesen intellektuellen Eskapaden zu folgen, kann in einen künstlerischen Kosmos eintauchen, der sich weit jenseits visueller Hervorbringungen erstrecken will.

AusstellungKoenraad Dedobbeleer. „Sache: Gallery of Material Culture“, noch bis zum 26. Januar im Kunstverein Hannover

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