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Schnitte im Schneckenhaus

Im Kunstverein Braunschweig suchen Hannah Black und Richard Sides Antworten auf zwei grundlegende Fragen: Wie begegnen wir Menschen, und wie nehmen wir am Leben teil? Im März widmet sich ein Projekt dann dem schwarzen Philosophen Anton Wilhelm Amo

Von Bettina Maria Brosowsky

Auch der Schnitt eines Films ist eine hohe Kunst, selbst wenn es wohl nur wenige Cutter*innen zu großer Berühmtheit bringen. Ein Stilmerkmal der Arbeit von Dede Allen (1923–2010) war die Magie des gesprochenen Wortes, das häufig vor der zugehörigen Szene des Filmes einsetzte. Zu ihren bekanntesten Filmarbeiten zählt „Bonnie and Clyde“ aus dem Jahr 1967, mit weiteren Filmen, in denen sie auch als Produzentin wirkte, wurde Dede Allen insgesamt dreimal für den Oscar nominiert und erhielt internationale Preise. Für die Künstlerin Hannah Black, 1981 in Großbritannien geboren, mittlerweile in New York lebend, ist Dede Allen nun eine Protagonistin ihrer auf drei Erzählstränge ausgelegten multimedialen Inszenierung für den Kunstverein Braunschweig: Dede, Eberhard, Phantom.

In dem mit Dede assoziierten Strang kommt die Tochter Allens zu Wort, sie beschreibt Leben und die Karriere ihrer Mutter sowie ihre Beziehung miteinander. Dazwischen geschnitten, häufig mit dem Kunstgriff des vorauseilenden Wortes, wird ein Gespräch mit einem Broadwaykünstler, der als Performer und auch Ersatzdarsteller im Musical „Phantom der Oper“ wirkt. Er erzählt auch von so manch technischem Malheur einer Inszenierung, etwa wenn etwas lautstark von einem Bühnenaufbau herunterfällt und Schaden nimmt.

Kunst beim Nervenarzt

Dieses Moment reflektieren mehrere in den Räumen aufgestellte dreidimensionale, filigrane Gitterstrukturen, von denen eine defekt und deformiert ist. Die Elemente schieben sich teils in die Projektionen, sind trotz Blessuren stabile, Halt gebende Momente im Flüchtigen. Ihr Name Moviola spielt zudem auf das alte analoge, in den USA gebräuchliche Arbeitsgerät zum Filmschnitt an, dank vertikalem Filmlauf handlicher als ein europäischer Schneidetisch.

Ein weiterer Erzählstrang gilt Eberhard Zwirner, dem Großvater des deutschen Star-Galeristen David Zwirner mit Niederlassungen in Paris, New York, London und Hongkong. Zwirner­ senior wirkte als Nervenarzt und Sprachforscher, begründete 1932 das deutsche Spracharchiv,­ das sich, später im Leibniz-­Institut für Deutsche Sprache in Mannheim aufgegangen, unter anderem der Dokumentation deutschlandweiter Mundarten auf Tonträgern widmete, ein durchaus NS-konformes Anliegen. Zudem forschte Zwirner zu krankhaften Veränderungen des Sprechvorgangs, er sah Heilungschancen in heute als fragwürdig erachteten neurochirurgischen Eingriffen.

Weniger bekannt ist, dass Zwirners Institut ab 1940 in Braunschweig residierte, zumindest wohl zeitweilig in den Räumlichkeiten des heutigen Kunstvereins. Auf diesen Umstand machte 2014 ein Rechercheprojekt durch Clemens von Wedemeyer im Kunstverein aufmerksam, es füllte das Haus, vom Keller bis zum Obergeschoss, mit rund einem Dutzend Sound-Installationen und begleitendem visuellem Material.

Hannah Black befragt nun in einem als Video mitgeschnittenen Interview Wedemeyer zu dieser Ausstellung. Das in malerischer Gartenkulisse aufgenommene Bildmaterial wird in mehreren Räumen recht extravagant über deren architektonische Gliederungen projiziert, dient mehr einer atmosphärischen, denn faktischen Rekonstruktion sowohl der Ausstellung als auch der Geschichte des Hauses. Und will so auf die Autonomie der Kunst ganz allgemein und ihre Institutionalisierung auch an diesem Ort verweisen.

Einer existenzialistischen Frage geht Richard Sides nach, auch er, 1985, in Großbritannien geboren und in Berlin lebend. „Gehört uns unser Leben, oder nehmen wir nur daran teil?“ fragt eine junge Frau in seinem Video. Dessen, nicht nur im Vergleich zu Dede Allens Kunst, brutal harten Schnitten und unwirtlichen Orten kann man in einem schneckenförmigen Fantasiebau­ innerhalb der Remise ganz entspannt folgen. Im Außenraum wird das Setting allerdings durch eine hohe Mauer beklemmend bedrängt.

Am 28. März eröffnet der Kunstverein Braunschweig dann neuerlich ein, nun äußerst aufwendiges, Rechercheprojekt, das sich einer lokalen, verkannten Persönlichkeit annimmt: Anton Wilhelm Amo, 1703 im heutigen Ghana geboren, vermutlich nach 1753 dort verstorben. Er kam als niederländischer Sklave an den Hof von Herzog Anton Ulrich zu Braunschweig-Wolfenbüttel.

Erste bekannter schwarzer Philosoph in Deutschland

Der humanistisch orientierte Herzog sah in Amo jedoch nicht das exotische Requisit als „Kammermohr“,­ sondern ließ ihm eine umfassende Bildung angedeihen: Amo studierte Rechtswissenschaften und Philosophie, promovierte und lehrte in Halle, Wittenberg und Jena. Eine Disputation „De iure Maurorum in Europe“ galt der Rechtsstellung Schwarzer auf dem Kontinent. Amo gilt neben Gottfried Wilhelm Leibniz als Protagonist der Frühaufklärung sowie als erster schwarzer Philosoph in Deutschland.

Das Vorhaben wird mitsamt eines Symposiums von der Kulturstiftung des Bundes gefördert, ist somit ein prominentes Projekt, wäre auch eines großen Hauses würdig, etwa dem thematisch ja naheliegenden Herzog Anton Ulrich Museum. Wie leider so oft in Braunschweig, zeigte sich auch diesmal das selektive Geschichtsverständnis: keines der historischen Museen hatte Interesse am Thema, nicht einmal an einer Kooperation. Anton Wilhelm Amo verließ 1747 Deutschland in Richtung Ghana, vermutlich aufgrund zunehmenden Rassismus. Kunstvereinsleiterin Jule Hillgärtner plant nun, wohl nicht ungern, mit der Braunschweiger Kunsthochschule, der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, dem Berliner Kurator Ndikung Bonaventure sowie 14 internationalen Künstler*innen.

Hannah Black: Dede, Eberhard, Phantom“ und „Richard Sides: Dwelling“: bis 16. 2., Kunstverein Braunschweig

„The faculty of sensing. Thinking with, through and by Anton Wilhelm Amo“: 28. 3. bis 3. 8., Kunstverein Braunschweig

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