: Sommerhaus, jetzt!
Immer mehr Deutsche werden im Ausland, was sie sich in der Heimat nicht leisten könnten: Besitzer einer idyllischen Immobilie. Das ruhige Feriendomizil ist ein willkommener Fluchtpunkt jenseits des Koordinatensystems unseres Alltags
VON JAN FEDDERSEN
Der Verkäufer im Farbenladen heißt Jonas Svensson, ist von mittlerem Alter, trägt, wie das schwedische Männer gern tun, einen malvenfarbenen Pullunder mit beigen Applikationen und nickt. „Ja, die Deutschen. Und die Dänen.“ Lächelt dann, kassiert zwischendurch vier Eimer ochsenblutrote Außenfarbe ab und seufzt: „Ja, das muss ich sagen, die Deutschen, die sind’s wohl.“ Auch Raimond Kyander ist voller Lob für Menschen, die einen deutschen Pass haben. „Sie sind sehr verlässlich. Sie kaufen und bleiben. Sie sind hartnäckig und nicht so sprunghaft wie Dänen.“
Der Mann muss es wissen, denn er ist Makler, hat sein Büro in Växjö, der Landeshauptstadt von Småland, und ist spezialisiert auf jene Häuser, die man sich so vorstellt, wenn man an Schweden denkt: aus Holz gebaut, in, jenem dunkelglühendem Rot gehalten, das auf Schwedisch falunröd heißt, rot wie die Erde von Falun und bekannt aus Pippi-Langstrumpf- und Bullerbü-Filmen.
Kyander ist kein Romantiker, er weiß um die immobilen Verhältnisse, er kommt gar nicht auf die Idee, die Landnahme Deutscher und Dänen in Schweden als Ausverkauf der Heimat misszuverstehen: „Das sind schöne Häuser, und sie stehen in unseren Wäldern.“ Seufzt, öffnet kurz seinen Archivschrank und lässt uns einen Blick auf viele, sehr viele Mappen mit Immobilien werfen: „Alles Häuser, die wir an neue Käufer veräußern konnten. Häuser, die kein Schwede mehr kaufen wollte.“ Denn Småland ist zwar wunderschön, eine liebliche, etwas langweilige Landschaft mit sehr vielen Seen, endlosen Gehölzen und gewundenen Straßen. Der nächste Supermarkt ist oft 20 Kilometer entfernt, und eine Kleinstadt wie Tingsryd scheint wie Manhattan, hat man sich erst mal gewöhnt an die Einsamkeit dieser Gegend und empfindet jedes Dorf wie ein urbanes Versprechen. Makler Kyander aber sagt: „Die Häuser sind nichts für die Jungen, die ziehen in die Städte“, in Steinhäuser gern und nach Växjö, Kalmar, Göteborg, Stockholm oder Malmö, „und die Alten fürchten, dort im Notfall keinen Arzt mehr zu erreichen.“
Kurzum: Småland wird mehr und mehr zur Kolonie deutscher und dänischer Metropolenbewohner – und sie sind oft sehr willkommen. Sie sind es, die die Häuser in den Wäldern davor bewahren, wieder von der Natur aufgefressen zu werden, sie pflegen und konservieren all die Steinmauern, die die früheren Landbewohner um ihre Grundstücke anhäufelten. Wer dort jetzt zweitsiedelt, tut etwas dafür, dass Småland kulturalisiert bleibt.
Auch in dieser Hinsicht ähnelt die Bewegung der Städter nach Småland einer anderen Bewegung ähnlicher Art – und sie wurde sogar zu einem Kulturphänomen: die, mit der die Toskana, etwa seit Ende der Siebzigerjahre, zur, deutsch angereicherten, multikulturellen Landschaft avancierte. Toskana, dolce far niente, bella figura, Pesto, Spaghetti, Olivenöl kaltgepresst – geronnen wurde dieser Lebensstil im milden Klima Mittelitaliens zur Mentalität mehrerer Alterskohorten – und sie wird Toskanafraktion genannt.
Den Trend gibt es länger – dass Städter Ferien machen und an deren Ende vielleicht mehr Geld ausgegeben haben, als sie selbst wollten: Ein Haus, ein Anwesen, ein Hof, eine Fluchtburg ist nie billig. Es gibt ähnliche Phänomene, aber sie meinen nicht das Gleiche. Menschen, die ihren Campingwagen dauerhaft irgendwo aufgestellt haben – ein mobiler Schrebergarten, der mehr an fahrende Gesellen erinnert, an die Möglichkeit spontaner Mobilität.
Auch ist die Neigung von Städtern, irgendwo weit außerhalb des eigenen Reviers alternativ sesshaft zu werden, nicht zu verwechseln mit Apartments, die man an der spanischen Mittelmeerküste kaufen kann, als Altersruhesitz oder Geldanlage. Deutsche in Småland oder in der Toskana wissen, dass sie dort, wo sie ein Häuschen kaufen, nie dauerhaft wohnen werden – aber sie hätten die Möglichkeit, es zu tun. Sie wissen, dass sie die Stadt brauchen, die Lichter, den Schmutz und die Pracht, den Lärm und dessen Melodien. Ein Haus in der Toskana, eine sommarstuga in Småland – in dieser Fantasie sind Momente von Künstlertum wie Bäuerlichkeit geborgen: Worpswede, Ahrenshoop, eigene Scholle, kein Zwist mit Nachbarn, der vor allem nicht.
Welche Gegend in Europa rekolonisiert wird, ist oft schwer zu prophezeien, aber dass Småland eine Art Ikea-Version der Toskana werden würde, lag irgendwie auf der Hand. Italien hatte ja schon früh in den neobürgerlichen Kreisen der Achtundsechziger einen splendiden Ruf, unabhängig von Goethens Reisen, den Bildern von Venedig und dem Wissen um die kulturstiftende Renaissance. Die Toskana, das war gutes Essen und Trinken, das war der politisch rote Gürtel, das war die Unterstellung von gutem Geschmack und leichter Lebensart. Småland kann da mit vergleichbar guten Bildern aufwarten, den Helden der Astrid Lindgren nicht nur nebenbei. Schweden – das ist das Land, in dem Kurt Tucholsky Asyl fand und Nelly Sachs nach langen nazifreundlichen Jahren auch, das ist das Land von Königin Silvia und Abba, einer guten Sozialdemokratie und gutmütigen Menschen, wie sie Henning Mankell oder Kerstin Ekman skizzieren.
Es kommt also immer auf die Gegend an, wo das gute, wenn auch nicht besonders üppig vorhandene Geld der neuen Mittelschichten ausgegeben wird. Polen? Zu unsicher. Die Uckermark? Die Menschen sind nicht gerade als besonders gastfreundlich bekannt, aber das waren die Småländer auch nicht gerade. Was jedoch gegen deutsche Immobilien spricht, ist ein Zeitumstand: Wer ein Haus in der Toskana kauft oder in Schweden, will nichts Exotisches, will irgendwie fast alles wie zu Hause – und doch nicht erreichbar sein: Man guckt zu, mit Satelliten-TV zumal, und ist doch nicht dabei. Man kann, in Zeiten von steter Verfügbarkeit am Arbeitsplatz zumal, nicht einfach in zwei Stunden in den Job zurückzitiert werden.
Die Toskana ist weit, wenn man nicht in Österreich oder der Schweiz lebt – und von Schweden sind es auch immer erschöpfende Tagesreisen zurück. Man hält sich die echte Wirklichkeit der Heimat, die KollegInnen, die Pläne, Termine, so gesehen, immer auf sicherer Distanz und bleibt doch im Bild. Man liebt die Agora, den Marktplatz, den wieseligen Fokus jeder Urbanität, und hat doch sein und ihr Tusculum, einen Rückzugsort, der nicht exotisch sein darf, sonst wäre er nur ein Fluchtpunkt. Und man bleibt sich ja ohnehin treu. Sagte neulich ein Schwedenhausbesitzer auf die Frage, wann er denn dort ankommen werde: „Zu den ‚Tagesthemen‘.“
Klar, es gibt, Makler Kyander kennt diese Menschen auch, Kunden, die in ihrer småländischen Hütte auf alles verzichten, was sie für bürgerlichen Komfort halten: Telefon, Fernsehen und manchmal auch Strom. „Aber diese Fälle sind selten. Und wer es probiert, hat nach zwei Jahren keine Lust mehr. Ist vielleicht doch zu unbequem. Und kann doch niemand wollen.“ Den Fehler freilich, in die Zweitheimaten die Laptops mitzunehmen, machen nur wenige: Manche haben es gemacht und es doch wieder gelassen. Småland wie die Toskana sind Einübungen in Disziplin, auf Mails und Internet zu verzichten … zumal, tröstlich hin und wieder, es in fast jedem Dorf ein Internetcafé gibt.
Und darüber sind nicht nur die neuen Småländer oder die Leute in der Toskana oft froh. Die Zuwanderer schützen ja auch diese Landschaften davor, wieder abgründig mittelalterlich zu werden. Småland ist ja eigentlich ein reines Pietistenparadies. Zeugen Jehovas, Pfingstkirchen, Freikirchen sonstiger Art – Spökenkiekerei und Aberglauben, religiöser Wahn und spiritistischer Wirrsinn sind dort gewöhnlich beheimatet – und die neuen Kolonisten tun das Ihre, ob sie wollen oder nicht, diesen christlichen Horror zu zügeln. Wer siedelt, kann sein, wie er oder sie will. Man bringt eben aus der Stadt mit, was die Stadt als Idee ist: ein Labor im Aushalten von allem, was einem meist nicht behagt.
Vor einigen Jahren hat sich ein älterer Mann mit christlicher Inbrunst über eine lesbische Gruppe beschwert, die an einem See, durchaus nicht in seiner Sicht-, aber gefühlter Hörweite, einen Workshop abhielt. Bis in die Nacht, mit Lagerfeuer und Gesang, textilarm und ziemlich fröhlich. Er hat sich bei Nachbarn beklagt, beim Bürgermeister ist er vorstellig geworden und hat die Regionalzeitung Smålandsposten mit einem Leserbrief bedacht.
Es hat ihm nicht so recht etwas genützt: „Du musst keinen Eifer in deinem Herzen tragen“, schrieb man ihm zurück, „dann bist du auch im Wald nicht so allein. Es sind Menschen, so solltest du es vielleicht besser sehen.“