: Die 500-Euro-Ferienwoche
Das Geschäft mit dem Urlaub laufe so gut wie schon lange nicht mehr, verkünden die Konzerne. Kaufzurückhaltung ade. Der Aufwärtstrend ist eindeutig. Aber wo ist es noch günstig? Ein Selbstversuch an der bulgarischen Schwarzmeerküste
von NIELS HÖPFNER
Anscheinend ist es bisher kaum aufgefallen, dass von der Tourismusindustrie die Einführung des Euro clever dazu genutzt wurde, die Preise fast zu verdoppeln. Gleiche Leistungen kosten heute nahezu so viel in Euro wie früher in Mark. Und es geht kein Konsumentenaufschrei durchs Land, denn kurz ist offenbar das Langzeitgedächtnis. Zwar reisen Leute, die sparen müssen, eindeutig weniger, gerade die mittelklassigen Etablissements zeigen Einbrüche. Dafür wird im oberen Marktsegment mit hohen Steigerungsraten weiter geprasst.
Ist es für eine Person noch möglich, mit allem Drum und Dran, im Ausland eine Woche für 500 Euro zu urlauben? Und das einigermaßen komfortabel?
Am größten dürfte die Preistreiberei in Spanien sein. Ein simples Einzelzimmer mit Dusche/WC in einem Mittelklassehotel ist auf Ibiza selbst in der Vorsaison nicht mehr unter 60 Euro zu haben – und die Hälfte wäre angemessen, wie 30-jährige Ibiza-Erfahrung lehrt. Also müssen wir Reisewanderheuschrecken weiterziehen.
Gen Osten. Im Osten geht auch für uns die Sonne auf. Der eingefleischte Individualreisende bucht per Internet zum ersten Mal in seinem Leben eine Pauschalreise: eine Woche Schwarzes Meer, Sonnenstrand/Bulgarien, Einzelzimmer mit Halbpension, inklusive Condor-Flug und Transfers, für 264 Euro. Ein etwas mulmiges Gefühl – wie es etwa Livingstone vor seiner Abreise an den Kongo gehabt haben dürfte.
Die Wahl entpuppt sich als Glückstreffer. Das 3-Sterne-45-Zimmer-Hotel Alexandrov Plaza, mitten im Städtchen Nessebar (Betonung auf der zweiten Silbe), ist proper: kein durchgelegenes Bett, schönes Bad mit weißen Handtüchern; alles picobello sauber (worauf wir Deutsche ja besonderen Wert legen). Und keine ästhetischen Beleidigungen im Raum – das erste Hotelzimmer im Leben des Reisenden ohne geschmacklose Bilder, nur ein großer Spiegel an den grau getönten Wänden. Dazu Satelliten-TV mit 99 europäischen Kanälen. Die Verpflegung ist nicht üppig, reicht aber aus. Und der Clou: Die Bar in der Hotellobby hat rund um die Uhr geöffnet. Der alternierende sympathische Barkeeper und House-Music-Fan Alexander, nach der Saison wieder Student, spricht sehr gut Englisch. Was braucht ein allein reisender Mensch insgesamt mehr? Danke, dem wohlbekannten Großkonzern.
Das Hotel liegt in Neu-Nessebar mit nahem, kaum verbautem Stadtstrand. Ein putziger Ort mit zahlreichen Tante-Emma-Läden jeder Art. Und vielen Garküchen und Kneipen. Holperiges Pflaster, Bäume am Straßenrand. Man erlebt eine Zeitreise: atmosphärisch Ibiza 1970.
Alt-Nessebar, von der Unesco zum Weltkulturerbe geadelt, ist noch uriger: ursprünglich ein Inselchen, das nun durch einen Damm mit dem Festland verbunden ist, mit fotogenen Ruinen sehr früher Kirchen und einem Bazar. Eine wahre Idylle.
Die Hölle aber ist der zehn Busminuten entfernte eigentliche Sonnenstrand: ein Konglomerat scheußlichster Großhotels, wo europäische Unterschichten, vorwiegend aus der ehemaligen DDR, ihren Urlaub verbringen. Keine Proletarier, sondern Proleten. Die Architekten und Investoren verdienen die Höchststrafe. Der Reisende hat in seinem Leben nie ein so widerwärtiges menschenverachtendes Touristenghetto gesehen. Und der lärmende Bauboom hält an: Planziel 150.000 Betten. Aber die Rechnung wird nicht aufgehen. Ehernes Kapitalismusgesetz: Teuer lässt sich nur verkaufen, was künstlich knapp gehalten wird. Hier ist jetzt schon das Preisdumping durch Konkurrenz der Masse programmiert.
Dem Reisenden ist es schwer gefallen, die für eine Woche eingeplanten 200 Euro Taschengeld zu verprassen. Ein mehrgängiges nettes Fischessen mit Getränken kostet etwa zehn Euro; ein halber Liter Bier aus einheimischer Produktion, aber von Pilsener Qualität, 75 Cent; ein Espresso 50 Cent; eine Packung Zigaretten der führenden Marke Victory 80 Cent. Der erste Gedanke natürlich: Bin ich hier ein Ausbeuter? Dann die Erkenntnis: Im Goldenen Westen sind die Preise aus Profitgier unverschämt überhöht und entsprechen nicht mehr im Geringsten dem Waren- und Dienstleistungswert.
Schließlich gelang es dann doch noch, den 500-Euro-Reise-Etat auszuschöpfen: durch den Kauf edler Armani- und Dolce-&-Gabbana-T-Shirts und einiger Sonnenbrillen von Dior, Gucci und Prada. Sehr gute Qualität, und alles für nur acht bis zehn Euro pro Stück. Von Nobelparfüms wie Chanel und Nobeluhren wie Rolex ist abzuraten: Sie sind miserabel gefälscht.
Nach Ibiza-Standard war es total ein 900-Euro-Trip. 2007 dürfte Schluss sein mit lustig: Dann wird Bulgarien Mitglied der EU. Und wir Reisewanderheuschrecken ziehen weiter.