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Kanonische Schattenspiele

Alpin Arda Bağcık hinterfragt in seiner Einzelausstellung in der Zilberman Gallery die Wahrheit der Wissensproduktion, insbesondere das durch erfolgreiche Pressebildikonen ausgelöste mediale Nachbeben

Von Julia Lorenz

Zwei Minuten Photoshop genügen, um einen Hilfesuchenden zum Mörder zu machen. 2015 ging ein Foto des syrischen Geflüchteten Anas M. um die Welt: Nach seiner Ankunft in Deutschland schoss er stolz ein Selfie mit Kanzlerin Angela Merkel. Das Bild wurde zum Symbol für den „Sommer der Migration“– und bald in rassistischer Mission zweckentfremdet: Nach den Anschlägen auf den Brüsseler Flughafen tauchten Fotomontagen im Netz auf, die Anas M. als Attentäter darstellten.

Der türkische Künstler Alpin Arda Bağcık hat das berühmte Merkel-Selfie nachgemalt. In seiner Arbeit beschäftigt sich Bağcık, geboren 1988 in Izmir, immer wieder mit ikonischen Bildern der Zeitgeschichte. Und damit auch mit Fake News, Manipulation, eben allen hässlichen Erscheinungen der Netzkultur, die den Begriff des „Postfaktischen“ nötig gemacht haben.

In der Zilberman Gallery, wo derzeit Bağcıks Schau „Apocrypha“ zu sehen ist, hängt das Merkel-Motiv an der Wand – als Ausgangspunkt einer vielteiligen Serie: Noch während die Farbe nass ist, fertigt der Künstler Abklatsch-Drucke seines Werks an. Die so entstandenen Kopien des Originals verwischen im Verlauf der Reihe immer stärker, bis das Motiv im letzten Bild im weißen Rauschen eines Röhrenfernsehers aufzugehen scheint. Den Verfremdungseffekt forciert Bağcık, indem er die Farbe teilweise wieder abschabt. In gleicher Weise bearbeitete er eine Aufnahme vom 11. September 2001, die das World Trade Center in Flammen zeigt. Die vervielfachten, im Fade-out begriffenen Motive erinnern an eine spukige Version Andy Warhols totzitierter Pop-Art-Reihen. Gleichzeitig liefern sie ein Update von dessen Reflexion über den Gebrauchscharakter von Bildern, für eine Zeit, in der die Mittel zur Kommunikation so demokratisch wie nie verteilt sind: Zwar kann man Bilder und Infos im Netz endlos reproduzieren, unverfälscht und ohne Sinnverlust. Trotzdem ist es möglich, dass die ursprüngliche Botschaft mit jedem Sender an Unschärfe gewinnt – und damit an Reiz: Keine neue Erkenntnis, sie hat in Bağcıks Umsetzung aber trotzdem visuelle Kraft.

Noch stärker aber verfangen seine fotorealistischen Gemälde berühmter Pressefotos. Das beeindruckendste, sein Werk „Amitriptilin“, zitiert das Foto der Eröffnungszeremonie des Anti-Radikalisierungs-Zentrums in Riad 2017: In Anwesenheit von geladenen Gästen stehen Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, Saudi-Arabiens König Mohammed bin Salman al-Saud und US-Präsident Donald Trump um eine glühende Weltkugel, die ihre Gesichter in grelles Licht taucht. Wie in einem okkulten Ritual legen sie die Hände auf den leuchtenden Globus: eine irrwitzige Szene, die in ihrer sinistren Theatralik besser in einen Fantasy-Film als in die Bildsprache der Politik passt. Logisch, dass das Foto ein Eigenleben im Netz entwickelte: Social-Media-User montierten das „Auge des Sauron“ aus der „Herr der Ringe“-Saga in die Leuchtkugel oder stellten den Staatschefs den bösen Magier Saruman an die Seite.

Werke, die den kultischen Charakter gesellschaftlicher Rituale ausstellen

Auf Bağcıks Schwarzweißgemälde der abstrusen Szene sind die Gesichter der Staatschefs verfremdet. An die Stelle des saudischen Prinzen rückt ein Anzugtyp mit leeren Augen, wie man ihn auch auf dem roten Teppich treffen könnte – ein wenig ähnelt er George Clooney. Überhaupt glaubt man, je länger man die unheimliche Szene betrachtet, immer mehr bekannte Gesichter in der Menschenmenge zu entdecken: Könnte der Mann im Halbprofil Muhammad Ali, ein anderer Saddam Hussein sein, oder trickst die Fantasie einen aus? Am Ende fügt sich der Pseudo-Clooney als zentraler Akteur ebenso stimmig in die Szenerie wie Saruman in den populären Memes: Ist ja auch irgendwie egal, ob Politdarsteller wie Trump Einigkeit und Macht performen – oder einfach nur Darsteller.

Bağcıks Gemälde eines Begräbnisses in den italienischen Bergen und eine weitere fotorealistisch gemalte, aber verfremdet Szene vom Todestag des Magiers Houdini haben den gleichen transzendentalen Glow wie „Amitriptilin“. Es sind so anziehende wie beunruhigende Werke, die den kultischen Charakter von gesellschaftlichen Ritualen ausstellen. Gleichzeitig denkt man darüber nach, welche Formen von Medienkritik im deutschen Kontext nicht mehr bedenkenlos funktionieren: Der Kniff des türkischen Künstlers, seine Gemälde nach Psychopharmaka zu benennen, gewissermaßen Medienbilder als Sedativum fürs Volk zu zeichnen, wirkt seltsam veraltet, sogar befremdlich. Vielleicht, weil die Rechten mit ihrer „Erwachet, ihr systemkonformen Schafe!“-Rhetorik so erfolgreich den Diskurs gekapert haben – was linke Medien- und Autoritätskritik komplizierter gemacht hat. Aber zum Glück nicht unmöglich.

Alpin Arda Bağcık: Apocrypha, bis 9. 2., Zilberman Gallery

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