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: Als der Wedding noch räudig war und Piet Klocke Jazz spielte

Foto: „Wedding“ (BRD 1989, Regie: Heiko Schier). Die DVD ist ab rund 14 Euro im Handel erhältlich.

Klaus (Heino Ferch) hat den Verdacht, dass seine Frau ihn betrügt. Er steigt aus der S-Bahn und sucht sie an ihrem Arbeitsplatz auf, dem Möbel Höffner in der Pankstraße im Wedding. Kleines Problem: Klaus ist der Lokführer und lässt die von ihm gefahrene S-Bahn im Stich. Seine Frau Susanne (Angela Schmid-Burgk) ist gerade in der Kundenberatung, ja, dieselbe Küche in Kiefer wäre deutlich billiger, aber es gibt sie halt nicht. Da kommt ihr toxischer Mann, macht ihr eine Szene, schlägt, tritt sie, geht allein nach Hause, bedroht schließlich, als die Polizei kommt, das gemeinsame Kind.

Er flüchtet, die Flucht endet, wo der Wedding endet: an der Mauer, es ist das Jahr 1989, hinter der Mauer liegt Ostberlin, das Jahn-Stadion, Prenzlauer Berg. Da, wo heute der Mauerpark ist, befindet sich das runtergekommene Gelände des Eberswalder Bahnhofs, ein Güterbahnhof, auf dem aber fast keine Güter mehr fahren. Quasi das Ende der Welt. Hier kommt Klaus zu Tode, ein Showdown mit dem Polizisten, der ihn verfolgt, ein Riesengeschrei, ein Schuss löst sich, der Polizist Markus (Roger Hübner) entfernt sich vom Ort seiner Tat.

Weder Drama noch Krimi

„Wedding“ ist kein Krimi, wobei kurioserweise sein Autor und Regisseur Heiko Schier gut zwanzig Jahre später am selben Ort einen Tatort mit dem Titel „Mauerpark“ drehte. „Wedding“ ist auch kein Melodram, obwohl der Film vom Plot her das Zeug dazu hätte: Auf dem Bahnhofsgelände nämlich trifft Polizist Markus, der in der Woche darauf heiraten will, zufällig auf seine Schulfreundin Susanne – also ausgerechnet die Frau des von ihm gerade getöteten Klaus. Die wiederum ist mit dem gemeinsamen Freund von früher unterwegs, dem Tunichtgut Sulle (Harald Kempe), der vor dem Gerichtsvollzieher geflohen ist.

Aus dieser Konstellation macht Schier aber schlicht: nichts. Jedenfalls nichts mit melodramatischer Schicksalsmelodie; der als Soundtrack ziemlich präsente, eher spröde-funkige Achtziger-Jazz kommt vom nachmals weniger als Musiker denn als Comedian bekannten Piet Klocke. Dabei haben Susanne und Markus sogar zwischendurch in einem Schuppen auf dem Bahnhofsgelände Sex, aber am Ende geht sie zurück zum gefürchteten Mann, ohne zu ahnen, dass er gar nicht mehr lebt. Sulle wiederum ist mit seinem geliebten Opel Ascona auf die Mauer zugebrettert, in Selbstmordabsicht, aber dann fehlt der Sprit.

Man kann das alles erzählen, denn Heiko Schier lässt diese ganzen Plot-Verwicklungen eher einen guten Mann sein. Ihn interessiert der proletarische, räudige Wedding, der damals noch sehr weit davon entfernt war, für ein hippes Viertel gehalten zu werden. Auf der Gesundbrunnenseite des Stadtteils ist der Film darum viel unterwegs. Ihn reizen vor allem die Figuren, Rumtreiber mit bescheidenen Träumen.

Sulle flunkert als Käptn Blaubär vom Wedding was von seinem Leben als Seemann und Reisen nach Australien und anderswohin. Susanne wäre gerne beim Fernsehen, ist fixiert auf Maren Gilzer vom Glücksrad und performt die Rolle vor den beiden ganz gut. Stattdessen aber nun der Job bei Möbel Höffner. Nur Markus hat es geschafft. Er könnte in ein paar Jahren Kommissar sein, aber die Karriere hat er sich wohl mit dem tödlichen Schuss ruiniert.

Dabei ist „Wedding“ kein richtig düsterer Film, nur ehrlich. Hart schon, aber zwischendurch komisch. Heiko Schier liebt das alles sichtlich: den Ort, die Atmosphäre, die Typen, die er vor die Kamera stellt. Nie verrät er seine Figuren und den Wedding an die großen Gesten oder ans Genre. Und er rettet ein Stück Westberliner Geschichte: Ein paar Monate nach dem Dreh fiel die Mauer, heute sieht hier alles sehr anders aus. Ekkehard Knörer