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Aus eins mach zwei

Nach dem Rücktritt des italienischen Bildungsministers Lorenzo Fioramonti beruft die Regierung nun gleich zwei Minister*innen. Die Unterfinanzierung bleibt

Herzlich willkommen: Wer in italienischen Klassenzimmern als Lehrer*in arbeitet, wird nicht sonderlich gut bezahlt Foto: Alessio Mamo/Observer/eyevine/laif

Aus Rom Michael Braun

Auf dieses Weihnachtsgeschenk hätte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte wohl gern verzichtet. Kaum hatte die Regierungskoalition aus der 5-Sterne-Bewegung (M5S) und der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) direkt vor dem Fest den Staatshaushalt 2020 verabschiedet, da flatterte Conte am 25. Dezember das Rücktrittsschreiben seines Schul-, Universitäts- und Forschungsministers Lorenzo Fioramonti auf den Tisch.

Das Ministeramt habe er im September 2019 nur unter der Bedingung akzeptiert, dass ihm erlaubt werde, den Sparkurs im Bildungsbereich „in radikaler Manier“. Ebenjene Wende sei jedoch bei den Etat­entscheidungen ausgeblieben, begründete Fioramonti seinen Rücktritt: „Es scheint, als fänden sich nie die Ressourcen, wenn es um Bildung und Forschung geht.“ 3 Milliarden Euro zusätzlich für die Schulen hatte Fioramonti verlangt – und von Beginn an mit dem Rückzug gedroht, wenn es die nicht geben sollte –, dann aber im Haushalt nur 2 Milliarden erhalten.

Deshalb ging er jetzt – und Conte verliert einen der Aktivposten in seinem Kabinett. Der 42-jährige Fio­ramonti, studierter Philosoph und Politikwissenschaftler, lehrte als Uni-Professor für Politische Ökonomie im südafrikanischen Pretoria. 2018 dann stieg er in die Politik ein, holte für die Fünf Sterne ein Direktmandat in Rom, wurde in der M5S-Lega-Regierung zum Staatssekretär im Schul- und Universitätsministerium berufen, ehe er nach der Bildung der M5S-PD-Koalition zum Minister aufstieg.

Mit seiner Diagnose, dass Bildung in Italien sich nicht eben bester Gesundheit erfreut, steht Fioramonti keineswegs allein. Der Ökonom Gianfranco Viesti etwa, Herausgeber des Bandes „Università in declino“ (Universitäten im Niedergang), beklagt, dass es zu den Mittelkürzungen an italienischen Universitäten „keinerlei Parallele“ gebe, „weder in früheren Zeiten noch in anderen Ländern“. Und Antonello Giannelli, der Vorsitzende des Verbands der Schulleiter, hält Fioramontis Rücktritt für bezeichnend: „Seine Geste macht deutlich, wie gering die Aufmerksamkeit der Politik für die Schule ist.“

Die Rückschritte bei Pisa sind keiner Talkshow eine Sendung wert

Die 2 Milliarden Euro, um die Fioramontis Etat aufgestockt werden sollte, reichen gerade einmal, um den Lehrer*innen des Landes eine bescheidene Gehaltserhöhung von 80 Euro brutto monatlich zu gewähren. Für die Digitalisierung der Schulen etwa sind im Jahr 2020 lächerliche 2 Millionen Euro mehr eingeplant.

Weiterhin gilt: Italien behandelt seine Schulen und Universitäten stiefmütterlich. Das geht bei den Gehältern los. Grundschullehrer*innen müssen sich mit einem Einstiegsgehalt von 20.000 Euro brutto pro Jahr bescheiden, Für die Lehrkräfte in Sekundarschulen sieht es nur unwesentlich besser aus. Schuld daran war nicht zuletzt der jahrelange Gehälterstopp nach dem Einbruch der tiefen Krise im Jahr 2008. Rund 22 Milliarden Euro hat die Regierung den Schulen in den folgenden sechs Jahren entzogen. Derzeit gibt Italien für Sekundarschüler*innen bloß etwa 8.900 Dollar pro Jahr aus. Deutschland, Frankreich oder Großbritannien kommen auf rund 12.000 Dollar. Die Folgen lassen sich an den Pisa-Tests ablesen. Italien liegt im Mittelfeld – hat sich aber sowohl beim Lesen als auch in den Naturwissenschaften verschlechtert. „Es ist nur allzu deutlich, dass die mageren Gehälter auf lange Sicht negative Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts haben“, fasst der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft Anief, Marcello Pacifico, den Frust seiner Kolleg*innen zusammen.

Auch bei den Universitäten wird seit Jahren gespart. Seit die staatlichen Mittelzuweisungen für die Unis um fast 10 Prozent gekürzt wurden, ging auch die Zahl der Dozent*innen um 20 Prozent zurück – auf nur noch 90.000 im Jahr 2015. Gerade einmal 7 Milliarden Euro jährlich lässt sich der italienische Staat seine Unis kosten. Zum Vergleich: Deutschland wendet 30 Milliarden Euro auf. Parallel zu den dramatischen Stellenstreichungen brach auch die Zahl der Studierenden ein: um 10 Prozent auf 1,8 Millionen. Damit gehört Italien zu den Schlusslichtern in Europa. Nur gut ein Viertel der 30-34-Jährigen verfügen über einen Uni-Abschluss. In Frankreich und Großbritannien sind es fast doppelt so viele.

So offensichtlich die Misere des italienischen Bildungssystems ist, so wenig löste das in den letzten Jahren gesellschaftliche Debatten aus. Die Rückschritte bei Pisa etwa sind keiner Talkshow eine Sendung wert – und erst recht keine Parlamentsdebatte. Dabei muss man schon seit Jahren von einem Bildungsnotstand reden, auch wegen der steigenden Lebenskosten und den wenigen Stipendien für Studierende.

Wollte mehr Geld für Bildung: Ex-Minister Fioramonti Foto: Remo Casilli/reuters

Nun könnte man durchaus die Frage stellen, warum denn Italien überhaupt mehr Akademiker*innen ausbilden sollte, wo doch seit 2009 jedes Jahr ungefähr 50.000 junge Menschen mit Hochschulabschluss das Land verlassen. Andererseits aber gilt: Italien ist immer noch, nach Deutschland, die Industrienation Nummer zwei in Europa. Wie es in Zeiten von Industrie 4.0 den Anschluss halten will, ohne massiv in Bildung und Forschung zu investieren, bleibt schleierhaft. Fioramonti zitierte gern den Fall Südkorea., das seit den 80er Jahren enorme Bildungsinvestitionen getätigt habe. Die Resultate seien heute zu besichtigen. Einen ähnlich langen Atem wünscht der Ex-Minister seinem Land.

Doch statt für einen Umbau des Bildungssystems entschied sich Premier Conte nach Fioramontis Abgang erst einmal bloß für den Umbau des Ministeriums, nach der Formel „Aus eins mach zwei“. Jetzt gibt es mit Lucia Azzolina, Lehrerin und Fünf-Sterne-Abgeordnete, eine Schulministerin, und mit Gae­tano Manfredi, bisher Rektor der Universität Federico II in Neapel und Vorsitzender der italienischen Rektorenkonferenz, einen Universitäts- und Forschungsminister.

An deren Qualifikation zweifelt kaum jemand. Und es nicht überraschend, dass die beiden unisono „mehr Geld“ für Bildung und Forschung fordern. Doch wie sie jene Wende hinbekommen wollen, die Fioramonti verweigert wurde, bleibt ihr Geheimnis. Wenigstens aber, und das dürfte Conte beruhigen, drohen sie nicht mit Rücktritt, wenn die geforderten Ressourcen wieder einmal ausbleiben sollten.

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