Kein Urteil über Holger Friedrich

Die Stasi-Akten des Eigentümers des Berliner Verlags werden von Expert*innen mit Vorsicht bewertet

Von Daniél Kretschmar

Seit Mitte November durch eine Recherche der Welt bekannt wurde, dass der Neueigentümer des Berliner Verlags, Holger Friedrich, als Soldat in der DDR inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war, stehen verschiedene Deutungen der bekannten Akten im Raum. Friedrich selber besteht darauf, zur Mitarbeit gezwungen worden zu sein und niemandem geschadet zu haben. Im Sinne transparenter Aufarbeitung versicherte sich der Berliner Verlag zügig der Unterstützung des Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk und der früheren Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler. Am Mittwoch legten diese ihren Bericht vor. Der analysiert erstmals auch die „Opferakte“ Holger Friedrichs, die bislang nur ihm auf Antrag ausgehändigt und den Spezialisten zur Prüfung überreicht wurde.

Der Bericht wurde sowohl auf der Webseite der Berliner Zeitung als auch der Robert-Havemann-Gesellschaft veröffentlicht. Darin wird die Darstellung einer erzwungenen Mitarbeit bei der Stasi weitestgehend gestützt. Ausführlich werden Protokolle und Beobachtungen aus der Akte zitiert, aber auch einer qualifizierten Einordnung unterzogen. So betonen Birthler und Kowalczuk mit Nachdruck das Mantra der historischen Aufarbeitung, dass die Akten keine absoluten Wahrheiten enthalten, sondern im Kontext der Entstehungszeit, der konkreten Arbeitsumstände und internen Kommunikationsstrukturen der Stasi gelesen werden müssen.

Dass Holger Friedrich niemandem schaden wollte, erscheint plausibel, es wird im Bericht aber darauf hingewiesen, dass informelle Mitarbeiter keinen Einfluss darauf hatten, wie ihre Berichte verwendet wurden, da sie kein auch nur annähernd klares Bild von der Arbeit der Stasi hatten. So konnten harmlos erscheinende Auskünfte, verknüpft mit Informationen aus anderen Quellen, den fehlenden Mosaikstein in einem gefährlichen Puzzle ergeben. In diesem Graubereich möglicher mittelbarer Schuld bewegte sich Friedrich in jedem Fall. Um beurteilen zu können, inwieweit er anderen tatsächlich geschadet hat, wäre laut Bericht mindestens ein Studium weiterer Akten nötig.

Letztlich enthält der Bericht keine Verdammung des Neuverlegers, aber eben auch keine Absolution. Die Abschlussempfehlung von Birth­ler und Kowalczuk lautet denn auch lediglich, dass der Berliner Verlag, Holger Friedrichs Einverständnis vorausgesetzt, die Akten vollständig veröffentlichen sollte.