Echte Teilhabe braucht verbindliche Hebel

Wat mutt? Dat mutt! (4) Im vierten Teil unserer Serie verraten Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft, was 2020 wichtig wird. Heute: Bremens Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm

Die Rede von der Gleichstellung erinnert an das täglich grüßende Murmeltier Foto: Maurizio Gambarini/dpa

VonBettina Wilhelm

Wat mutt, dat mutt: So charmant diese nordische Redewendung auch sein mag – in meinem Job, die Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen, hat sie etwas von dem täglich grüßenden Murmeltier. Gleichstellung ist gut, wichtig und müssen wir machen, wat mutt, dat mutt eben, so steht es auch im Koalitionsvertrag. Meine Aufgabe ist es, diese Bekenntnisse nun einzufordern und im besten Fall mit konkreten Vorschlägen und Impulsen einlösbar zu machen.

Ganz oben auf meiner Agenda für das Jahr 2020 steht der Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen: eine bundeslandweite Strategie, die die Arbeit aller beteiligten Stellen wie Beratungseinrichtungen, Frauenhäuser, Polizei, Staatsanwaltschaft miteinander verzahnt und bestehende Doppelangebote oder Lücken identifiziert und beseitigt.

Den Plan hat die Bürgerschaft längst beschlossen, und das musste sie auch, denn die Istanbul-Konvention verpflichtet Bund, Länder und Kommunen zu einer solchen Strategie. Die Koalition hat die Umsetzung versprochen. Hierzu braucht Bremen eine Koordinierungsstelle: Ressourcen, um den Plan gemeinsam mit beteiligten Akteur*innen überhaupt auf- und dann umzusetzen. Diese Stelle muss jetzt kommen, darauf werde ich – weiterhin – dringen.

Die Bremer Wirtschaft und damit der Arbeitsmarkt ist von männerdominierten Branchen wie Automobilindustrie oder Hafenwirtschaft geprägt. Frauen haben hier schlechtere Zugänge. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, aber mit einem Frauenanteil von 43,9 Prozent bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt Bremen unverändert auf dem letzten Platz der Bundesländer. Sind Frauen arbeitslos, dann im Schnitt fast zwei Jahre lang, und viele Maßnahmen des Jobcenters erreichen sie nicht oder sind nicht wirklich effektiv. Jede Menge Handlungsaufträge, die ich auch 2020 formulieren und einfordern werde.

Foto: ZGF

Bettina Wilhelm (parteilos) ist seit 2017 Landesbeauftragte für Frauen. Die Sozialpädagogin und Erzieherin war zuvor Erste Bürgermeisterin in Schwäbisch-Hall.

Frauen haben es am Bremer Arbeitsmarkt also nicht leicht – aber wenn sie dann auch noch alleinerziehend sind, haben sie noch schlechtere Karten. Für sie hat die Bürgerschaft deshalb einen weiteren Landesaktionsplan beschlossen. Klingt nach viel Papier, ist im Kern aber handfeste Armutsbekämpfung. Nur 66 Prozent der Alleinerziehenden im Land Bremen sind erwerbstätig (vorletzter Platz im Bundesvergleich) und ebenso viele beziehen Leistungen aus Hartz IV (Platz 1 im Bundesvergleich). Das heißt: Wenn Alleinerziehende in Bremen überhaupt einen Job haben, dann reicht der ganz oft nicht zum Leben. Das ist alles nicht neu. Neu aber ist, dass das Thema nachhaltig bei allen Politikverantwortlichen angekommen ist. Mein Team und ich sind vor Ort, wenn es darum geht, Angebote und Programme auszuwerten, aufeinander abzustimmen oder die Arbeitsmarktprogramme der EU neu zu justieren.

Bei all dem stecken wir mitten in einem Strukturwandel, der sich rascher vollzieht als viele überhaupt wahrnehmen. Die Digitalisierung verändert sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche. Sie birgt Chancen, aber auch Risiken, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht. Ein Risiko aber birgt sie gewiss: das der Diskriminierung. Wenn künftig auch in der Verwaltung Algorithmen Leistungen und Ansprüche berechnen, besteht die Gefahr, dass sie geschlechtsspezifische Diskriminierungsmuster vervielfachen. Hier müssen wir sehr wachsam sein.

Im Bereich Arbeitsmarkt geht es um sehr viel mehr als nur die so genannte „Plattformisierung“ von Dienstleistungen oder Homeoffice. Es gibt Branchen, deren Jobs sich komplett wandeln oder gar entfallen, und es gibt Branchen, in denen das weniger passieren wird. Männer und Frauen agieren geschlechtsspezifisch verschieden in einer digitalen Welt. So sind Frauen stark in der Anwendung, aber Männer stärker, wenn es um die Hardware oder ums Programmieren geht. Klischees etablieren sich auch hier – und wir müssen ihnen entgegensteuern. Hier Geschlechtergerechtigkeit als Wert und Ziel im Blick zu haben, muss Ziel aller Akteurinnen und Akteure sein.

Wenn Alleinerziehendein Bremen überhaupt einen Job haben, dann reicht er oft nicht zum Leben

Und noch etwas habe ich mir vorgenommen zu bewegen in 2020: dass mehr Frauen in die Politik kommen. Der Frauenanteil der Bürgerschaft ist zwar auf 36 Prozent gestiegen – aber repräsentativ entsprechend der Bevölkerung ist er noch lange nicht. Die Regierung will ein Paritätsgesetz prüfen, erste Anhörungen haben bereits stattgefunden. Ich bin der Meinung, dass ein solches Gesetz kommen muss. Um eine wirkliche politische Teilhabe und tatsächliche Wahlfreiheit zu ermöglichen, brauchen wir verbindliche Hebel. Mit Freiwilligkeit alleine kommen wir nicht weiter. Außerdem ist auch Bremen vor einem Roll-back, wie er andernorts überall zu sehen ist, nicht gefeit. Hier sind Ideen und niederschwellige Zugänge gefragt, familienfreundliche Arbeitszeiten müssen im Politikbetrieb Standard werden. Dafür werde ich nicht nur werben, sondern auch Formate vorschlagen und einfordern.

Die Rolle der Landesfrauenbeauftragten und ihrer Behörde, der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) ist so reizvoll wie herausfordernd: Mein Job und der meines Teams ist es sich einzumischen in Regierungs- und Verwaltungshandeln. Laut Gesetz „wachen“ wir darüber, dass in Bremen das verfassungsgemäße Gebot der Gleichstellung von Männern und Frauen umgesetzt wird.

Der erhobene Zeigefinger gehört zu unserer Attitüde. Was uns fehlt, ist die Faust, die auf den Tisch hauen oder – noch besser – einen Hebel umlegen kann. Die ZGF startet Initiativen, gibt Ratschläge, liefert Konzepte, Vorlagen, Tipps, Korrekturen. Was wir jetzt aber brauchen, ist entschlossenes Handeln. Wir brauchen messbare Zielgrößen, die zu erreichen sind. Und wir brauchen wirkungsvolle Maßnahmen, wenn sie nicht erreicht werden. Überzeugen muss ich und müssen wir nicht mehr – jetzt sind andere am Zug. Wat mutt, dat mutt. Und: Budder bei die Fische!