nord🐾thema
: helfen & spenden

die verlagsseiten der taznord

Birte Müller
Die schwer mehrfach normale Familie
: Mein alter, weißer Mann hat alle Macht über die Geräte

Ich habe einen Mann. Er ist ein weißer Mann. Da kann er nichts für, so ist er nun einmal. Außerdem ist er aus Sicht einer Pubertierenden möglicherweise sogar ein alter weißer Mann. Da kann er auch nichts für. Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber plötzlich ist er zu einem Feindbild geworden.

Er selber hat es übrigens noch gar nicht bemerkt, weil er sich überhaupt nicht alt findet und bei allem, was nur ein kleines bisschen nach Feminismus riecht, ganz schnell seine E-Mails abrufen geht oder etwas ähnlich Sinnvolles macht. Matthias hat Angst vor Feministinnen, sie sind ihm, sagt er, irgendwie zu aggressiv.

Er ist nämlich sehr harmonieliebend und friedlich. Er bekleidet übrigens auch keinerlei Ämter oder irgendwelche Machtpositionen, die er gnadenlos ausnutzen könnte. Deswegen ist er wenigstens kein „mächtiger, alter, weißer Mann“, das ist immerhin auch schon etwas. Hier, zu Hause, hat Matthias allerdings eine Menge Macht, nämlich die über alle technischen Geräte. Die hören nämlich ausschließlich auf ihn.

Unser Blue-Ray-Player, die NAS-Dateiserver und mein Drucker spüren, dass vor ihnen eine alte, ohnmächtige Frau sitzt – auch ziemlich weiß ­übrigens ­– und sie funktionieren dann absichtlich nicht so, wie ich das will. Darum muss ich andauernd zu meinem Mann rennen und ihn darum bitten, mir zu helfen. Und dann übt mein Mann gnadenlos seine Machtposition aus und unterdrückt mich schamlos, indem er seufzend sagt: Ja, ich schau mir das später mal an. Dabei will ich doch jetzt sofort etwas ausdrucken!

Ich wundere mich wirklich, wie mein alter, weißer Mann das immer so hinbekommt mit der Technik. Er lötet sogar auf Platinen herum und so. Das bewundere ich schon ein bisschen, ich kann mir nicht helfen. Andererseits, alles bekommt er auch nicht hin. Wenn man ihn doch mal aggressiv sehen möchte, dann möge man vorbeikommen, nachdem er drei Stunden lang versucht hat, die gerade einmal zwei Jahre und zwei Monate alte Bluetooth-Box unserer Tochter zu reparieren.

Birte Müller, 45, ist Bilder-buchillustratorin, Autorin und Mutter zweier Kinder: Willi (12) mit Downsyndrom und Olivia (10) mit Normalsyndrom. Mehr Informationen auf www.illuland.de.

Beim Einbau des neuen Akku ruft er ganz aufgeregt alle paar Minuten, um Olivia und mir begeistert das Innere des Gerätes und seine eigenen Fortschritte zu zeigen. Die Box funktioniert dann auch wieder, aber nach dem Zusammensetzten plötzlich doch nicht mehr.

Dann bekommt Matthias sein berüchtigtes Heim­werker-Tourette. Und gegen Geräte wird er dann sogar gewalttätig.

Ich selber leide dagegen unter einem sehr ausgeprägten allgemeinen Technik-Tourette, welches mich aber schon ab 20 Minuten erfolgloser Versuche, mir von meinem neuen Mac die Zwischenablage anzeigen zu lassen, handgreiflich gegen meine Maus werden lässt.

Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber plötzlich ist er ein Feindbild

Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich von meinen technischen Geräten viel mehr versklavt als von meinem Mann. Sie sind es, die die Macht über mich besitzen! Deswegen würde ich auch niemals ein Smart-House haben wollen. Ein Schlaumeier Haus – nein, danke! Dann wirklich lieber Matthias, der hinter mir Fenster und Kühlschränke schließt und alle Geräte ausschaltet. Dankbar bin ich ihm dafür aber trotzdem nicht.

Mein Problem ist, dass ich mich sehr schnell bevormundet fühle. Vielleicht möchte ich ja gleich zurück ins Wohnzimmer gehen und dann weiter Radio hören? Woher will mein Mann denn das wissen? Aber er fragt auch nicht mehr, denn das nervt mich noch viel mehr, wenn er mit den Worten „Kann ich unten in der Küche die Lichter und den leeren Backofen wieder ausmachen?“ an die Tür meines Arbeitszimmers klopft. Ist ja auch wirklich eine beknackte Frage!

Apropos beknackte Frage: Wer erinnert sich noch an Karl Klammer? Diesen Microsoft-Office-Assistenten in Form einer Büroklammer mit Augen, der – nachdem man auch nur ein einziges Wort geschrieben hatte – plötzlich hervorsprang und einen mit der ewig gleichen Frage nervte: „Anscheinend möchten Sie einen Brief schreiben. Brauchen Sie Hilfe?“

Ich fühle mich von meinen technischen Geräten versklavt

Ich habe Karl Klammer ­übrigens oft angeschrien, beschimpft, mit dem Cursor verkloppt und brutal aus dem Bild geschleudert. Also all das, was ich bei schlechter Laune versuche, mit meinem Mann nicht zu machen. Er tut mir ein bisschen leid, dass er nun ein alter, weißer Mann ist – und somit irgendwie böse –, obwohl er wirklich keine Schuld trägt an Jahrhunderten von männlich-weißer Unterdrückung und Machtausübung oder meinen Computerproblemen.

Im Sportunterricht werden die Grundschüler sicher bald „Wer hat Angst vorm weißen Mann“ spielen und halten das dann für politisch korrekt. Und ich werde mich weiter wundern, warum die Menschen oft so ungerecht werden, um Ungerechtigkeit zu bekämpfen, und ob es denn wirklich nicht möglich ist, bei Apple mehr als ein Element in die Zwischenablage zu kopieren.