: Punk sei Dank
NO FUTURE Ute Wieners war in den 80ern Punkerin in Hannover. Nun hat sie darüber ein Buch geschrieben
Als Ute anfing, die Sex Pistols zu hören, Springerstiefel zu tragen und ihre Haare mithilfe von Kernseife zu einer wilden Mähne aufzustellen, entdeckte sie an einer Hauswand in Hannover den Ausspruch „Punk ist tot“. Das war im Herbst 1980. Ute war gerade mal 18 Jahre alt und schlecht gelaunt.
Doch in einer Bewegung, die sich „No Future“ auf die Fahne schreibt, kommt in gewisser Weise jeder immer schon zu spät. Zudem befand man sich ja nicht in London der 70er, sondern in einem autonomen Jugendzentrum in der Kornstraße, Hannover. Ute war es ernst damit. Auf ihrem ersten Punk-Konzert schlug ihr ein so großartiges und pathetisches Scheißegal entgegen, dass sie sofort begriff, dies war ihr Platz.
Wo hätte sie auch hin sollen? Eine Kindheit und Jugend voller Prügel und Demütigungen lagen hinter ihr. Punk bedeutete das unverhoffte Angebot, endlich aus der Opferrolle zu steigen und der Welt all die hässlichen Verletzungen mit Furor zurückzuschleudern.
„Stolz“ ist ein Wort, auf das die inzwischen 50-jährige Ute Wieners in ihren autobiografischen Erzählungen „Zum Glück gab es Punk“ oft zurückkommt. Punk, so macht sie deutlich, bot zwar Zuflucht und Zugehörigkeit, aber die eigene Würde musste auch in dieser Szene immer wieder neu errungen und verteidigt werden. Zumal als Frau.
Wieners, die in den 1980ern ein Fanzine namens „Pogogirl“ herausgab, der Geburtsstunde der „Anarchistischen Pogopartei Deutschlands“ beiwohnte und möglicherweise als die Erfinderin der Punk-Ratte gelten kann, legt mit ihren Erzählungen ein ausführliches Zeugnis über ihre Erlebnisse als „Punkette“ zwischen 1980 und 1987 in Hannover und Berlin ab. Überzeugend beschreibt sie, wie aus dem passiven Leid vereinzelter Außenseiter ein arrogantes und aggressives Statement vieler werden konnte.
Der Leser erfährt aber auch so einiges über die chauvinistischen Hackordnungen in der damaligen Punkszene, und wie sie sich gerade in Geschlechterfragen als ein „Haufen von verkleideten Spießern und Kleinbürgern“ erwies. Die „Punk-Tussis“ hielten Kaffeekränzchen zu Haarfärbemitteln und ihren neuesten Liebschaften, während sich die Macker mit ihren „Männerfantasien“ von phallischer Dominanz und vergangenen und künftigen Gewaltaktionen zu Helden stilisierten.
Nüchtern schildert Wieners auch, wie das Identitätsbedürfnis der Szene eine entgrenzte und absurde Distinktionswut hervorbrachte. Neben „Naziskins“ und „Nazibullen“ gab es auch sogenannte „Nazitürken“. Nicht nur grenzte man sich von den Hippies, den Prolls, den Poppern, den Autonomen, den Anti-Faschisten und den „Anti-Imps“ ab, sondern auch von Modepunkern, Bahnhofspunkern und allen anderen „Asi-Punkern“. „Die Hölle – das sind die anderen Punker!“, bringt Wieners die eher existentielle, denn politische Grundlage des Punk-Seins auf den Punkt. SAMUEL MOON
Ute Wieners: Zum Glück gab es Punk: Autobiographische Erzählungen. Verlag Arbeitskreis Regionalgeschichte. 319 Seiten, 16,80 €