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Wenn der Wal weint

Schleswig-Holstein fördert Signal-Geräte, die Wale vor Netzen warnen sollen. Doch die Methode ist umstritten: Ob sie tatsächlich funktioniert, ist bislang vollkommen unklar

Ob die neuen Geräte ihn wirksam hätten schützen können, ist unklar: Toter Schweinswal in der Ostsee Foto: Matthias Meinsen/dpa

Von Esther Geißlinger

In der Ostsee ertrinken immer wieder Schweinswale in Stellnetzen. Um das zu verhindern, werden sogenannte „Pinger“ eingesetzt, die die lärmempfindlichen Säuger mit Krach verscheuchen sollen. Weil das nicht zuverlässig klappt, hat ein Meeresbiologe aus Heikendorf einen Pinger entwickelt, der einen Wal-Ruf ausstößt. Das Land Schleswig-Holstein fördert diese Geräte. Doch ExpertInnen warnen: Die Methode sei zu wenig erforscht, um flächendeckend eingesetzt zu werden.

„Dieses Geld rettet Tierleben und hilft den Fischern, Beifänge zu minimieren“, freute sich Kiels Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne). Gemeint sind die rund 900.000 Euro aus EU- und Landesmitteln, mit denen Schleswig-Holstein bis 2022 das neue „Porpoise Alert“-Verfahren (PAL) fördern will. FischerInnen erhalten die Geräte kostenlos, um ihre Stellnetze damit zu bestücken.

Das PAL-Warnsystem wird damit Teil der „Freiwilligen Vereinbarungen“ zwischen den Fischereiverbänden und dem Land. Die Einigung, die 2013 der damalige Minister Robert Habeck (Grüne) mit den Verbänden der rund 300 Stellnetz-Fischer­Innen in der Ostsee geschlossen hat, regelt unter anderem Schonzeiten und Netzlängen.

Warnung von den Artgenossen

Die Idee des PAL klingt einleuchtend: Während der klassische Pinger ein Störgeräusch abgibt, das nicht immer den gewünschten Effekt hat (siehe Kasten), scheint hier ein Wal seinen ArtgenossInnen eine Warnung zuzurufen. Drei Jahre lang fanden – ebenfalls mit Landesmitteln geförderte – Versuche statt, um zu testen, ob der Hau-ab-Ruf die gewünschte Wirkung zeigt. Ja, glauben der PAL-Erfinder, Meeresbiologe Boris Culik vom Forschungsinstitut F3, und das Thünen-Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Braunschweig, das die Versuchsreihe ausgewertet hat.

Dennoch erntete Minister Albrecht für seine Entscheidung, PAL flächendeckend zu fördern, Protest der Umweltverbände BUND und Nabu. Der Hauptkritikpunkt ist, dass die Vereinbarungen freiwillig bleiben und nicht weit genug gehen. „Man rühmt sich für sogenannte Schonzeiten, in denen Netzlängen verkürzt werden – dabei haben bedrohte Tiere keine Schonzeit, denn sie sind ganzjährig geschützt“, sagt Dagmar Struss, Schweinswalexpertin des Nabu. Für Struss ist klar, dass die Ostseeschweinswale eine eigene Spezies sind, die sich genetisch von Nordseewalen unterscheiden.

Das Bundes-Ernährungsministerium bestreitet das. Da das Thünen-Institut zum Ernährungsministerium gehört, ist für die Umweltverbände die Aufsicht über die PAL-Versuche nicht neutral. Struss nennt die Signalgeber „des Kaisers neue Kleider“: „Man hängt ein paar Geräte an die Netze, schon ist mit dem Schutz der Wale alles in trockenen Tüchern.“

Dabei sei die Datenbasis zu gering, um aussagekräftig zu sein: Insgesamt gingen 22 Wale in die Netze. Trotz klarer Verteilung – fünf Tiere ertranken in Netzen mit PAL, 17 in Netzen ohne PAL – sei das „im Bereich des Zufalls“.

Angelockt statt abgeschreckt

Zudem verweisen BUND und Nabu auf eine weitere Studie, bei der PAL-Geräte bei Island eingesetzt wurden. Dort landeten am Ende mehr Wale in den Netzen. Besonders männliche Tiere schienen geradezu angelockt.

Allerdings habe es sich bei den Versuchen vor Island nicht um eine Gegenstudie, sondern um einen Vortest im Rahmen der PAL-Erprobung gehandelt, sagt Christian von Dorrien, Leiter des Arbeitsbereiches Fischerei und Umwelt am Thünen-Institut. Auch in der Ostsee gab es mehrere Versuchsreihen mit verschiedenen Signalen. Denn die Schwierigkeit bestehe darin, das richtige zu finden.

Das Geräusch, das nun über die PAL-Geräte ausgesandt wird, entspricht der Klickfolge eines Wal-Weibchens, mit dem sie ein Wal-Männchen veranlasste, wegzuschwimmen. Dieses Signal habe in der Ostsee Erfolg gehabt, sagt Dorrien. Die Kritik, es seien zu wenige Funde gewesen, um Zufall auszuschließen, nennt er „unfair“. Die Geräte hätten über lange Zeit an vielen Kilometern Netz gehangen.

Schlaue Netze

Vorschläge und Methoden, um Beifänge zu vermeiden, gibt es seit Jahren.

Pinger, die ein lautes Geräusch machen, werden weltweit eingesetzt, um Wale und Delfine zu warnen.

Sie sind aber umstritten: So können sie Tiere ganz aus ihrem Revier vertreiben oder sie orientierungslos machen, weil Wale aus Angst vor dem Geräusch auf ihr Echolot verzichten.

Ein „Dinner-Bell-Effekt“ wurde in anderen Fällen beobachtet: Wale begreifen, dass Pinger Netze voller Fisch bedeuten, und schwimmen dorthin.

Seit 2004 veranstaltet der WWF den Wettbewerb „Schlaue Netze“,

heute „Smart Gear“ („Schlaues Fanggerät“). Dabei gab es 2007 einen Preis für die englische Aquatec Group: Das Unternehmen hat Reflektoren für Netze entwickelt, die Schallwellen der Schweinswale reflektieren und sie so fernhalten sollen.

Dafür, dass die Versuche bei Island so schiefgingen, hat er eine These: Es sei möglich, dass die Schweinswale verschiedene Sprachen sprechen. Dann hätten die Island-Wale nur die Stimme eines Artgenossen gehört, aber nicht die Warnung. „Aber das ist Spekulation“, betont er.

Permanent gestört

Genau deshalb hält das Bundesamt für Naturschutz (BfN) „den großflächigen Einsatz der Geräte ohne begleitendes Monitoring oder weiterführende Untersuchungen für sehr bedenklich“, teilt das Amt mit, das zum Geschäftsbereich des Bundesumweltministeriums gehört.

Sprecherin Ruth Birkhölzer sagt: „Wenn 2.000 Schweinswale in der schleswig-holsteinischen Ostsee den Geräuschen von mehr als 1.800 PALs ausgesetzt sind, erzeugen diese Geräte einen signifikanten Anteil der Schweinswalgeräusche im Gebiet. Ob und wie sich dies auf die auswirkt, ist völlig unklar.“ Denkbar sei, dass die Tiere entweder permanent gestört werden oder sich an die künstlichen Rufe gewöhnen.

Das BfN plädiert dafür, Stellnetze durch Alternativen, zum Beispiel Fischfallen oder Großreusen, zu ersetzen. Denn die könnten im Idealfall auch den Beifang von tauchenden Seevögeln verhindern.

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