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Viel mehr als nur Realität

Mit ihrer Gruppenausstellung „This is not a Photo“ forscht die Galerie Mitte nach dem Verhältnis von Fotografie und Malerei: ein Thema mit langer Geschichte und in überraschend großer Bandbreite

Von Jan-Paul Koopmann

Es ist eine große Frage mit vielen Antworten: was Kunstfotografie und Malerei miteinander zu schaffen haben. Denn tatsächlich beginnen die wechselseitigen Beeinflussungen beider Kunstformen mehr oder weniger exakt mit der Erfindung des Fotos. Weil die Zumutung sofort klar war, und weil es nun wirklich niemanden überraschen konnte, dass dem Gemalten ab sofort schwer fallen würde, seine Vormachtstellung über die Abbildung der Wirklichkeit zu behaupten. Dass umgekehrt die Fotografie es nicht lange beim schlichten Doppeln belassen würde, ist eine andere Geschichte, aber klar ist auch hier: Malerei und Foto kreisen in großem Abstand zueinander um die gleiche Sache.

Die gute Nachricht ist: Die Ausstellung „This is not a Photo“ in der Galerie Mitte weiß das alles sehr genau und behauptet auch gar nicht, das Rad neu zu erfinden. Stattdessen entfaltet Kuratorin Ele Hermel eine Überblicksschau gegenwärtiger Zugriffe aufs Thema, die in ihrer Bandbreite tatsächlich beachtlich ist. Elf aktuelle Positionen sind zu sehen – viele davon aus Bremen –, die aus verschiedensten Richtungen vorführen, was sich jenseits der Konkurrenz um das wahrste Landschaftsbild zwischen Gemälde und Foto so abspielen kann.

Die größte Nähe zeigt dabei Lu Nguyen, die im Video ein berühmtes Motiv René Magrittes rekonstruiert. Sie werden sich erinnern: Die ersten beiden Teile der Serie „Die Liebenden“ zeigen Mann und Frau als Paar, die Köpfe mit weißen Tüchern verhüllt. Lu Nguyen lässt nun zwei vermummte Schauspieler*innen vor blauem Himmel in weiße Tücher atmen, dass die Zweisamkeit schon beim Zusehen zur Qual wird. Über elf Minuten bildet sich zunächst ein feuchter Fleck um die Mundpartie, später kleben die Stoffe klitschnass im Gesicht. Das Video zeichnet eine widersprüchliche Bewegung nach: Einerseits wird die Verhüllung durchlässiger, weil mit der Feuchte die Konturen von Gesicht und Brille durchkommen – und andererseits zerfällt die Figur, wird scheinbar rasend schnell älter, weil der Stoff bald wie faltige Haut vom Schädel hängt.

Ebenfalls nah am Gemälde verorten sich zwei späte Arbeiten von Christine Prinz, die sich selbst als „Susanna im Bade“ inszeniert und mit Handtuch um den Kopf ein Selfie schießt – mit einer alten Analogkamera. Hier geht es weniger um die Betrachter*innen, als um den Akt der Selbstdarstellung, um die vorgebliche Spontaneität des schnelles Fotos, welche von der gründlichen Nachzeichnung mit Acryl ins Absurde gewendet wird. Christine Prinz, die im Mai 2013 starb, gehörte zu den wichtigen Künstlerinnen der Galerie im Kubo.

Nebenan hängen zwei blassgrün leuch­tende Gemälde des israelischen Künstlers Liav Mizrahi, der die Aufnahme eines Nachtsichtgeräts in Malerei überträgt. Zu sehen ist ein Zelt, in dem sich zwei Menschen befinden. Das Eindringen der Überwachungstechnologie in den intimen Raum scheint unbemerkt zu bleiben. Im Hin und Her zwischen dem elektronischen Gebrauchsbild und seiner malerischen Rekonstruktion bekommt der Übergriff eine neue Qualität: surreal und voyeuristisch zugleich. Wahrscheinlich ist dieses Zusammenspiel von Emotion und Technologie der nachhaltigste Reibungsmoment der Schau – die allerdings auch noch weit mehr zu bieten hat.

Ausstellung bis 14. 12., Galerie Mitte im Kubo; Finissage: Sa, 14. 12, 20 Uhr

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