: Auch bei der Union geht es jetzt um den Machterhalt
Ist es das Ende der Groko? Die SPD-Spitze will den Koalitionsvertrag neu aushandeln. Von Unionspolitkern kommt eine klare Absage. Was bisher vereinbart wurde, müsse gelten
Aus Berlin Anja Maier
Ich bin völlig baff“, umreißt Christian Lindner seine Gefühlslage auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Es ist Viertel nach sechs am Samstagabend, gerade hat die SPD das Ergebnis ihres Mitgliedervotums bekannt gegeben: 53 Prozent für das Duo Esken/Walter-Borjans. Der FDP-Vorsitzende und 2017 abgesprungene Jamaika-Koalitionär ist gerade Zeuge jener Folgen geworden, die sein seinerzeit zu Protokoll gegebenes regierungspolitisches Verweigerungsdiktum mittlerweile zeitigen. Auch die SPD-Basis meint offenbar, es sei „besser, „nicht zu regieren, als falsch zu regieren“.
Umgehend richteten sich alle Augen auf den Koalitionspartner der Sozialdemokraten. CDU und CSU sind nach dem seinerzeit gescheiterten Jamaika-Anlauf eine bundespolitische Vernunftehe eingegangen; nun steht deren Bestand zur Disposition. Man spürte es in den zurückliegenden beiden Jahren an der Unruhe im politischen Betrieb, an den Hakeleien und Gemeinheiten, die sich durch die Regierungsjahre gezogen haben. Plötzlich aber geht es nicht mehr nur um die Sozis – es geht um den Machterhalt auch für die Union.
Mag sein, dass da jetzt neue SPD-Vorsitzende kommen, die die Koalition infrage stellen – wie Norbert Walter-Borjans – oder sich doch Nachbesserungen wünschen, wie es Saskia Esken tut. Die Union ist aus ihrer eigenen Sicht aber nicht dafür gewählt worden, immer neue nachgereichte Forderungen der Sozialdemokraten zu erfüllen. CDU und CSU stehen für ein konservatives Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Neuwahlen sind nun nicht mehr ausgeschlossen. Für den Fall müssen sie weiter inhaltlich erkennbar bleiben.
Hinzu kommt die Führungskrise bei der CDU. Nach einem arg wackligen Start der Vorsitzenden hat sie auf dem Parteitag vor gerade mal einer Woche zum Burgfrieden zurückgefunden. Ist Annegret Kramp-Karrenbauer einer derartigen, historisch einmaligen Situation überhaupt gewachsen? Schon vor dem Votum der SPD-Basis hatte sie zu erkennen gegeben, dass sie Neuverhandlungen des Koalitionsvertrags nicht mitmachen werde.
Entsprechend unnachgiebig fällt die Wortwahl aus. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak meldet sich: „Wir wollen Deutschland gut regieren“, sagt er. „Wir haben dafür eine Grundlage zwischen Union und SPD geschaffen; und an dieser Grundlage hat sich durch die Entscheidung der SPD nichts geändert.“ Ähnlich äußert sich Alexander Dobrindt. Der Koalitionsvertrag bilde die Grundlage für die Zusammenarbeit, sagt der CSU-Landesgruppenchef, der sonst gern mal binnenatmosphärisch rumeskaliert. „Die SPD muss sich entscheiden, ob sie mit stabiler Regierungsarbeit Vertrauen bei den Wählern zurückgewinnen möchte oder aus Angst vor Verantwortung weiter an Zustimmung verlieren will.“ Und Saarlands CDU-Regierungschef Tobias Hans beschwört seine eigene Partei, „standhaft“ zu bleiben. Es werde „keine Neuverhandlungen zum Koalitionsvertrag geben“.
Und die Vorsitzende? Annegret Kramp-Karrenbauer ist gerade in ihrer anderen Rolle, als Bundesverteidigungsministerin, auf Reisen. Am Sonntagmittag meldete sie sich aus dem kroatischen Split. Aktuell stünden das Vermittlungsverfahren zum Klimaschutzpaket, das Gesetz zum Kohleausstieg und viele Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag für das kommende Jahr an. „Das ist für die CDU die Geschäftsgrundlage“, so Kramp-Karrenbauer.
Pacta sunt servanda, sagt dazu der Lateiner. Doch für Vertragstreue gelten in der Politik andere Bedingungen als in der Wirtschaft. Darüber wird nun der SPD-Parteitag am kommenden Freitag entscheiden. Nicht einmal CDU und CSU dürften daran glauben, mithilfe terminlicher Vorbehalte derart lange den Deckel auf dieser brisanten parteipolitischen Situation halten zu können.
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