: „Eskimos galten als lebendige Fossilien“
Im Rahmen des „Cinema Antarctica“ zeigt das Metropolis den Dokumentarfilm „Minik“, der die Geschichte eines jungen Eskimos erzählt
von Christoph Behrends
Ende des 19. Jahrhunderts bekommt der Polarforscher Robert Peary den Auftrag, von seiner Grönland-Expedition, bei der ein Meteorit geborgen werden soll, einen Eskimo für das Museum of National History in New York mitzubringen – als Forschungsobjekt für Anthropologen. Schließlich sind es fünf Eskimos, die sich bereit erklären, ihrer eisigen Heimat den Rücken zu kehren und mit Peary nach New York zu fahren – darunter der junge Minik und sein Vater. Sie werden im Keller des Museums untergebracht. Ein Jahr später, so verspricht Peary, wird er sie zurückbringen. Doch bereits nach kurzer Zeit erkranken die Probanden an Tuberkulose. Nur Minik überlebt und wird von einem Mitarbeiter des Museums adoptiert.
In seinem 2005 gedrehten Film Minik, den das Metropolis jetzt zeigt, wirft der Dokumentarfilmer Axel Engstfeld einen kritischen Blick auf die frühe Anthropologie und den Umgang mit Menschen „im Dienste der Forschung“.
Das dabei verwandte Filmmaterial besteht aus Interviews, historischen Filmaufnahmen und Fotos sowie nachgestellten Szenen, die die Ereignisse um die Jahrhundertwende veranschaulichen. Nachkommen der Beteiligten werden befragt, und Briefe von Minik, die er als 18-Jähriger an einen Freund in New York schickte, lassen einen Einblick in seine Gefühlswelt zu. Er fühlt sich betrogen, als er herausfindet, dass man ihm lediglich vorgetäuscht hatte, seinen Vater ehrenvoll beerdigt zu haben. Stattdessen hatte man dessen Überreste an diverse Museen im ganzen Land verteilt – zu Forschungszwecken. Nach zwölf Jahren reiste Minik zurück nach Grönland und stellte fest, dass er die Sprache seines Stammes verlernt hatte und kaum fähig war, in der rauhen Wildnis zu überleben.
Die Dreh- und Recherchearbeiten gestalteten sich schwierig, weil das Museum of National History in New York zunächst die Zusammenarbeit verweigerte und keine Dreherlaubnis erteilen wollte. Anscheinend wollten sich einige Anthropologen bezüglich der Anfänge ihres Forschungszweigs lieber in Schweigen hüllen. „Dies scheint immer noch ein Politikum zu sein“, vermutet Engstfeld. Erst nach sechs Monaten gewährte man seinem Team Einsicht in die Akten und Archive des Museums, und weitere sechs Monate Geduld waren nötig, bis ein Kamerateam ins Museum gelassen wurde.
Dessen jetziger Kurator, David Hurst Thomas, gilt bei einigen Kollegen als Nestbeschmutzer, weil er die Gründerphase der Anthropologie sehr kritisch betrachtet. Im Film erklärt er, dass die der frühen Anthropologie entsprungene Theorie der Kulturevolution die Eskimos – der Film verwendet diesen Ausdruck ganz bewusst, weil sich die Einwohner Nordgrönlands selbst so nennen – auf die unterste zivilisatorische Stufe stellte: „Eskimos galten als so etwas wie lebendige Fossilien.“
Im Film ist dann auch zu sehen, wie sie vermessen und die Körper der Toten als Anschauungsmaterial präpariert wurden. In einem Brief, den Minik aus der Arktis schreibt, fragt er: „Mein Volk weiß zwar nicht, dass der große Stein ein Meteorit ist, der vom Himmel fiel. Aber sie wissen sehr wohl, dass man den Hungrigen zu essen geben, den Frierenden Wärme und den Hilflosen helfen muss, und sie tun es. Wäre es nicht traurig, wenn sie all dies vergäßen und ein zivilisiertes Volk würden?“
Engstfelds Film dokumentiert, aber er klagt nicht an. Er stellt die Szenen vielmehr nüchtern hinter- und nebeneinander. Minik ist eine kurzweilige Dokumentation, die unaufdringlich den Blick auf real existierende Tabus aktueller wissenschaftlicher Selbsreflektion richtet.
Di, 9.8. 20.30 Uhr, sowie 10.8. 18.30 Uhr, Metropolis