: Rainman im Ring
Schwerathlet Ralf Bartels aus Neubrandenburg steigert sich im Weltmeisterschafts-Wettbewerb der Kugelstoßer auf Platz drei – dank urwüchsiger Kraft und neu gewachsener Nervenstärke
AUS HELSINKI FRANK KETTERER
Am Morgen danach hatte der dunkle Himmel über Helsinki seine Schleusen geöffnet, und was aus ihm herunterfiel, kam Bindfäden gleich. Bartels-Wetter nennt man das Katzenhageln neuerdings im Reich der deutschen Leichtathletik, weil der Kugelstoßer aus Neubrandenburg es mag, wenn das Wasser Wellen wirft im Ring und die Kugel glitschig ist vom Regen. Unter solch widrigen Umständen hatte der 27-Jährige den bisher größten Erfolg seiner sportlichen Karriere erzielt; Dritter bei der EM in München vor drei Jahren war er da geworden.
Am noch ziemlich frühen Sonntagmorgen saß Bartels im ebenso gemütlichen wie trockenen Restaurant Töölönranta, wo der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) seine Pressekonferenzen abhält während dieser Leichtathletik-WM in Helsinki, schaute versonnen lächelnd den Bindfäden zu und musste die Frage beantworten: Herr Bartels, hätten Sie sich dieses Wetter gestern gewünscht?
Da lächelt Ralf Bartels noch versonnener, wackelt ein bisschen mit dem Kopf und sagt: „Nein, es war schon okay so.“ Schließlich hatte der Himmel auch am Vorabend ein paar Tropfen gespendet, wenn auch spärlich. Aber vielleicht war das schon ausreichend für Bartels, um sich bereit zu fühlen für Großes. Beim Einstoßen jedenfalls hatte er bemerkt, wie die Wolken dunkler wurden über ihm, und auch, „dass die beiden Amerikaner nervös wurden“ ob dieser Tatsache. Den einen, Adam Nelson, konnte der Neubrandenburger im anschließenden Wettkampf zwar nicht in Schach halten, dafür waren die 21,73 Meter, die dieser gleich im ersten Versuch in den Sektor gewuchtet hatte, einfach zu gut. Aber immerhin Christian Cantwell konnte er Paroli bieten. Und weil außer dem verrückten Herrn Nelson nur noch der Holländer Rutger Smith (21,29 m) am Ende weiter stieß als Bartels, gab es erneut Bronze für den Neubrandenburger – diesmal bei der WM und bei nur ganz wenig Regen.
Kein Wunder also, dass Bartels am Tag danach so zufrieden war mit sich und der Welt – und natürlich auch mit dem Wetter. Er hatte sich diese Medaille vorgenommen, ganz fest, und er hatte sie tatsächlich gewonnen. Das klingt so einfach – und war in der Vergangenheit doch nicht selbstverständlich bei dem 27-Jährigen. Speziell bei Großereignissen hatte sich der Neubrandenburger bisweilen als wenig nervenstark erwiesen und sich schon durch Kleinigkeiten aus der Bahn werfen lassen. Auch Kugelstoßen, so komisch das klingen mag, ist Kopfsache. Vielleicht war der Kopf für den Gewinn dieser Medaille sogar wichtiger als all die Muskeln, die diese Burschen ja alle haben.
Duell mit Affen
Dass Bartels beispielsweise von Oktober bis Januar kaum trainieren konnte, weil er Lehrgänge bei der Bundeswehr absolvieren musste, empfindet der Bootsmann der Marine im Rückblick als positiv. Denn: „Da bin ich vom Kopf her mal richtig vom Leistungssport weggekommen.“ Als er schließlich spät, aber dafür umso intensiver in die WM-Saison startete, erhöhte er nicht nur das Krafttraining, sondern auch jenes für den Kopf. Bartels stählte also nicht nur seine Muckis, sondern mit Hilfe des Neubrandenburger Psychologen Willi Neumann bei Konzentrations- und Meditationsübungen auch seine Nerven. Und sei es per Videospiel, bei dem er sich trotz heftiger Ablenkung auf einen Affen konzentrieren musste, um mit diesem Bananen von einer Palme zu pflücken.
Die Arbeit mit dem Psychologen scheint sich auszuzahlen. Nicht nur, dass Bartels seine Bestleistung in dieser Saison auf 21,36 m schraubte, auch in Helsinki gab er den anderen Gorillas Zucker – und das, obwohl der Wettkampf sich keineswegs günstig für ihn entwickelte, weil sich sowohl Nelson als auch Smith bereits mit ihren ersten Versuchen die Medaillen erstießen. „Eigentlich wollte ich ja ein Zeichen setzen und die anderen unter Druck setzen“, kommentierte Bartels diese Paukenschläge. Nun war er, mit 20,30 m und einem ungültigen Versuch gestartet, in der Defensive.
Gut möglich, dass Ralf Bartels sich früher aus seiner Bärenruhe hätte bringen lassen. Diesmal tat er es nicht, sondern blieb ruhig und fand „mit Konzentration und Motivation doch noch in den Wettkampf“. Erst steigerte er sich auf 20,61 m, dann auf 20,77 m, was dazu führte, dass ihn vor dem sechsten und letzten Durchgang nur noch 13 Zentimeter von Bronze trennten. „Vor dem letzten Versuch habe ich mich nur darauf konzentriert“, sagte Bartels. Wie gut all die Übungen bereits angeschlagen haben, zeigte sich, als auf der Anzeigetafel 20,99 m aufleuchteten, womit der Neubrandenburger den Viertplatzierten Ukrainer Juri Bilonog noch um zehn Zentimeter hinter sich gelassen hatte. Es war der Moment, in dem für Ralf Bartels die Sonne zu scheinen begann – obwohl es immer noch tröpfelte.